Beziehungsweise Paartherapie
Warum wollen wir eigentlich noch heiraten? Und muss ein Seitensprung gleich das Ende bedeuten? Paartherapeutin Ulrike Paul gibt Antworten.
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Schon wieder hat er den Müll nicht rausgebracht. Sex hatten wir auch schon seit drei Wochen nicht mehr. Und mit wem schreibt er eigentlich die ganze Zeit auf WhatsApp? – Ja, Beziehungen können kompliziert sein. Seit es die Menschheit gibt, versuchen wir, sie zu verstehen – nicht immer mit Erfolg. Eine, die sich diesem komplexen Unterfangen tagtäglich widmet, ist Ulrike Paul: Als Paar- und Sexualtherapeutin hilft sie Menschen dabei, Konflikten in Beziehungen auf den Grund zu gehen und wieder zueinander zu finden. Wir haben die Expertin in ihrer Innsbrucker Praxis getroffen und über das Thema Paartherapie ausgiebig gesprochen.
Im interview mit Paartherapeutin Ulrike Paul
WAS SIND DIE HÄUFIGSTEN GRÜNDE, WARUM MENSCHEN FÜR EINE PAARTHERAPIE ZU IHNEN KOMMEN?
Ulrike Paul: Viele kommen, weil sie in einer kommunikativen Sackgasse stecken. Sie haben das Gefühl, nicht mehr weiterzukommen, fühlen sich missverstanden und nicht gehört. Der eine glaubt zu wissen, was der andere sagen will und umgekehrt. Oft ist das auch mit dem Gefühl mangelnder Wertschätzung verknüpft, was nicht zuletzt auch mit der – häufig immer noch traditionellen – Arbeitsteilung in Beziehungen zu tun hat. Auch wenn sich einiges getan hat, macht die Frau immer noch meist die selbstverständliche und unsichtbare Care-Arbeit, während der Mann für Karriere und Einkommen zuständig ist. Beide sind also in unterschiedlichen Sphären tätig und wissen oft gar nicht, was der oder die andere eigentlich macht. Manchmal ist auch Neid da; weil die Frau vielleicht auch gerne Karriere machen will oder sich finanzielle Anerkennung für ihre Tätigkeit wünscht.
Trotz Beziehung sollte man ein eigenständiger Mensch mit eigenen Hobbys und Freund:innen bleiben.
Ulrike Paul
Leider gerät die individuelle Gestaltungsfreiheit in Hinblick auf Arbeitsteilung oft an strukturelle Grenzen, selbst, wenn das entsprechende Bewusstsein vorhanden ist. Die Verkennung der jeweiligen Leistung ist ein großes Thema, ebenso wie sexuelle Bedürfnisdifferenzen – etwa, wenn die Libido bei einem verblasst, während der andere gerne mehr und kreativeren Sex hätte. Die Devise, möglichst viel miteinander über solche Dinge zu reden, ist ja einerseits richtig, hat aber dann ihre Grenzen, wenn sich die gleichen Diskussionen immer und immer wieder wiederholen. Das zermürbt auf Dauer nur und verursacht Frust, Wut und Kränkung. Dieses Muster gilt es zu durchbrechen, und das ist oftmals nur unter Zuhilfenahme einer dritten moderierenden und intervenierenden Person möglich.
SIE BESCHÄFTIGEN SICH TAGTÄGLICH MIT BEZIEHUNGEN. WIE HABEN SICH DIE FORMEN DES ZUAMMENLEBENS IN DEN LETZTEN JAHREN VERÄNDERT?
Was sich auf jeden Fall verändert hat, ist die Art des Kennenlernens, durch Tinder und Co. Online-Plattformen fördern eine gewisse Schnelllebigkeit und Austauschbarkeit. Viele Paare hegen inzwischen den Wunsch, ihre Beziehung zu öffnen – durchaus auch auf Initiative der Frauen, die ihre sexuellen Bedürfnisse nun viel offensiver artikulieren und einfordern. Unsere Gesellschaft ist toleranter geworden, wodurch sich neue Partnerschafts- und
Familienformen ergeben; neben gleichgeschlechtlichen auch nonbinäre oder transidente Beziehungen. Doch der Zuwachs an individueller Gestaltungsfreiheit bringt auch Ungewissheiten mit sich; etwa in Hinblick auf das Geschlechterverhältnis und die Beständigkeit der Partnerschaft. Das Leitbild ist jedenfalls immer noch heteronormativ.
Dieser Normdruck, dem sich auch schwule oder lesbische Paare ausgesetzt sehen, besagt etwa, dass ein Paar ein Kind kriegen muss, und dann noch ein zweites, um dem perfekten Familienidyll zu entsprechen. Generell beobachte ich eine starke Retraditionalisierung in Beziehungen. Das Auf-Knien-um-die-Hand-Anhalten, die groß inszenierte Hochzeit und dann, so bald wie möglich, das erste Kind zu bekommen: Da kommen wieder sehr viele Bilder aus dem traditionellen Ehe- und Familienleben auf. An dieser weit verbreiteten Idealisierung von Vorstellungen des Zusammenlebens hält man fest – auch, wenn der Alltag diesen Erwartungen längst nicht mehr entspricht.
WORAN KANN DAS LIEGEN?
Ich glaube, es hängt mit dem Bedürfnis nach Halt, Sicherheit und Kontinuität zusammen. Dass sich Menschen gerade in politisch und ökonomisch unsicheren Zeiten wieder mehr auf das private Glück besinnen und in der selbst gegründeten Familie eine sichere Festung suchen. Und – aufgeladen mit viel Romantik – den anderen zeigen wollen: Ich habe das Beziehungs- und Familienglück gefunden. Sobald dieses Glück aber Risse bekommt, ist das besonders schmerzlich. Und diese Risse kommen meistens mit dem bitteren Alltag; nach dem „schönsten Tag im Leben“. Wenn sich idealisierte Vorgaben nicht verwirklichen lassen, entsteht oftmals ein großer Leidensdruck. Die von vielen betriebene Aufrechterhaltung der heilen Fassade lässt die eigenen Konflikte innerhalb der Partnerschaft als individuelles Versagen erleben. Aus diesem Grund fällt es oft schwer, sich anderen gegenüber zu öffnen und rechtzeitig professionelle Hilfe zu suchen.
VON ÄLTEREN GENERATIONEN KOMMT OFT DER VORWURF: „FRÜHER HAT MAN BEZIEHUNGEN REPARIERT, HEUTE WERDEN SIE EINFACH WEGGESCHMISSEN, SOBALD ES KRISELT.“ STIMMT DAS?
Es hat schon eine Veränderung stattgefunden in Bezug auf Ansprüche und auch die Subjektzentriertheit. Als Person habe ich ein Recht, mich zu entfalten, ich darf vom Leben etwas verlangen, ich will mich nicht irgendeinem gemeinsamen definierten Zweck unterordnen. Hinzu kommt natürlich, dass die gesellschaftliche Ächtung im Fall einer Trennung nicht mehr so stark vorhanden ist. Natürlich ist es eine Freiheit, nicht mehr ein Leben lang zusammenbleiben zu müssen, wenn man unter der Beziehung leidet. Aber in einer längeren Beziehung wird es immer kritische Phasen geben, die man aushalten muss. Wichtig ist, dass man nicht bei der ersten Krise kapituliert. Dass es immer wieder gelingt, Vorfälle zu bearbeiten und zu einem gemeinsamen
Verständnis zurückzufinden. Und den Gedanken abzulegen: „Du bist schuld.“
WO SETZT HIER DIE PAARTHERAPIE AN?
Sie kann es ermöglichen, die Perspektive des anderen einzunehmen und den Faden wieder aufzunehmen – in einem Raum, in dem jeder mit seinen Empfindungen und Gedanken zu Wort kommen kann. Als neutrale Instanz versuche ich, beide Seiten zu verstehen und ein wechselseitiges Begreifen zu ermöglichen. Wie war diese eine Aussage gemeint und wie ist sie beim Gegenüber angekommen? Derartige Dinge gemeinsam zu entschlüsseln, ist ein wichtiger Teil der Therapie.
WANN IST DER RICHTIGE ZEITPUNKT, UM EINE PAARTHERAPIE ZU BEGINNEN?
Viele kommen schon präventiv zu mir, obwohl sie erst seit kurzem ein Paar sind. Wenn sie merken: Ja, wir verstehen uns gut, aber es gibt einige Differenzen und damit auch Frustrationspotenzial, das wir uns genauer anschauen möchten. Auf jeden Fall ist es ratsamer, sich früher Unterstützung zu holen, anstatt lange zuzuwarten und den Ärger hinunterzuschlucken. Voraussetzung ist natürlich, dass beide auch wollen. Eine Paartherapie ist aber grundsätzlich nichts Außergewöhnliches. Manche begreifen sie auch als regelmäßigen Checkup für ihre Beziehung, um zu verhindern, dass man sich irgendwo festfährt. Auch ältere Paare nutzen diese Möglichkeit zusehends. Die gestiegene Lebenserwartung motiviert Menschen im Alter von 60 plus, an ihrer Beziehung und einem erfüllten Sexualleben zu arbeiten.
KÖRPERLICHE UNTREUE IST FÜR VIELE DER ULTIMATIVE DEALBREAKER. MUSS EIN SEITENSPRUNG GLEICH DAS ENDE EINER BEZIEHUNG SEIN?
Nein. Aber es ist wichtig, Enttäuschungen oder Kränkungen aufzuarbeiten. Dazu gehört, einerseits den
Schmerz zu erkennen, der zugefügt wurde, und andererseits die Hintergründe der Handlung zu verstehen. Was wurde in der außerpartnerschaftlichen Geschichte eigentlich gesucht? Das zu kommunizieren, ist oft wahnsinnig schwierig, aber es kann auch eine Chance sein. Beispielsweise, um wieder ein wirklich offenes, intensives Gespräch miteinander zu führen und die Bedürfnisse des Gegenübers klar zu sehen. Krisen sind immer auch eine Möglichkeit, sich als Paar auf einer anderen Ebene wieder zu begegnen. Hinter einer außerpartnerschaftlichen Erfahrung steckt ja auch immer etwas Komplexeres.
…ZUM BEISPIEL?
Sexuelle Bedürfnisdifferenzen sind ein wesentliches Thema, das in alle möglichen Beziehungsbereiche überschwappen kann, aber selten offen angesprochen wird. Im Umgang mit der eigenen Sexualität wird viel Scham und Tabu empfunden. Gedanken wie: „Wenn ich es nicht initiiere, dann haben wir in den nächsten zehn Jahren gar keinen Sex mehr“, „Er muss doch merken, dass es mir keinen Spaß macht“ oder „Eigentlich will ich nicht, aber ich sollte wieder mal, weil es ist schon wieder drei Wochen her“, sind keine Seltenheit. Schwierig ist, dass die Lust ja nicht auf Knopfdruck kommt, sondern etwas Psycho-Vegetatives ist. Man kann ein erfülltes Sexualleben nicht planen wie einen Wocheneinkauf. Und Druck führt oft dazu, dass sich die Libido erst recht zurückzieht. Hier geht es darum herauszufinden, wie die Lust wieder mehr Raum zur Entfaltung bekommen kann.
BEEINFLUSST IHRE TÄTIGKEIT ALS PAARTHERAPEUTIN AUCH IHRE EIGENEN BEZIEHUNGEN? Überlegungen zur Beziehungsdynamik spielen schon eine Rolle. Die Erkenntnisse aus meiner Tätigkeit sind sicher eine wertvolle Ressource, aber man kann für den eigenen Partner nicht gleichzeitig Therapeutin sein. Und die eigenen Interpretationen bewahrheiten sich nicht immer (lacht).
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