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Sorgfältig suchen Paula Jorge und Lorena Kübler einen bunten Kreidestift nach dem anderen aus. Erst Blau. Dann Grün. Etwas Lila und zum Schluss noch ein wenig Gelb. Mit den Stiften schreiben sie in Großbuchstaben Sprüche auf den Boden, die anderen Personen – meistens jungen Frauen – in der Öffentlichkeit zugerufen wurden. Von „Geiler Arsch“ und „Lächle doch mal“, über „Bei dem Outfit brauchst du dich nicht wundern“ bis hin zu „So oane wie di tat i schun gean amal gscheid durchnehmen, geh doch mit uns hoam“: Sogenannte Catcalls erleben vor allem weiblich gelesene Personen nicht selten.
–> Was ist Catcalling? Catcalling (deutsch etwa „Katzen-Rufen“) ist eine Form der sexuellen Belästigung und bezeichnet sexuell anzügliches Rufen, Reden, Pfeifen oder sonstige Laute im öffentlichen Raum wie Hinterherrufen sowie Nachpfeifen.
Dass diese verbale sexuelle Belästigung keinesfalls harmlos ist, wollen die Aktivistinnen von „Catcalls of Innsbruck“ durch das „Ankreiden“ der Sprüche aufzeigen. Die Catcalls bekommt das Kernteam, bestehend aus sechs Personen, täglich per Instagram, Mail oder Facebook zugeschickt, in denen Betroffene ihre Geschichten schildern. „Wir wollen mit unseren Aktionen die Straße für die Personen zurückerobern, die uns ihre schlechten Erfahrungen zuschicken“, erklären uns Paula und Lorena. Hinter jedem Kreidewerk steht auch ihre Forderung: „Stoppt Belästigung!“
Die Straße zurückerobern
Entstanden ist „Catcalls of Innsbruck“ im Winter 2019, inspiriert durch die New Yorker Initiative „catcallsofnyc“. Seitdem kreiden die Innsbrucker:innen an: „Jede:r kann uns Erfahrungen zuschicken. Wir schauen dann gemeinsam, welchen Satz wir aus den Erzählungen herausnehmen, und versuchen, die verbale Belästigung genau dort anzukreiden, wo es den Personen widerfahren ist. So wollen wir aufzeigen, dass so etwas wirklich überall passieren kann“, berichtet Lorena. Zwar gäbe es auch Männer, die gecatcallt würden, meist kämen jedoch
Einsendungen von Frauen.
Um die Sprüche anzukreiden, muss die Innsbrucker „Catcall“-Gruppe immer wieder aufs Neue beim Stadtmagistrat in Innsbruck anfragen. Dieser Vorgang sei zwar nicht der einfachste, funktioniere mittlerweile aber recht schnell: „Anfangs mussten wir immer eine Sammelanmeldung an die Stadtverwaltung schicken und durften dann innerhalb von einer Woche genau die angefragten Texte in dem Wortlaut niederschreiben. Das war ein sehr langwieriger Prozess. Mittlerweile funktioniert das alles zum Glück recht schnell und unkompliziert“, fügt Paula hinzu.
struckturelles problem mit sexismus
Während die Aktivistinnen bei unserem Treffen ihre Kreidewerke vor dem Tiroler Landesmuseum vollenden, kommt eine junge Passantin auf uns zu: „Seid ihr von Catcalls of Innsbruck? Ich finde eure Aktionen richtig cool, das wollte ich euch schon immer einmal sagen“, freut sie sich begeistert, als Lorena und Paula nicken. Ein Feedback, das die beiden mehr als motiviert: „Solche Rückmeldungen sind natürlich toll. Diese gehen jedoch in beide Richtungen und können auch negativ sein. Leider bleiben die schwierigen Sachen meist mehr im Gedächtnis“, so Lorena.
Auch sie selbst sei schon während einer Ankreidung gecatcallt worden: „Es war im Sommer, und ein Mann hat im Vorbeigehen zu mir gesagt, dass ich mich ja gar nicht über solche Sprüche wundern solle, wenn ich einen Ausschnitt tragen würde. So etwas ärgert ungemein.“ Vor allem der Austausch in der Gruppe mit anderen helfe ihnen, mit solchen Momenten umzugehen. „Was mir auch sehr hilft, ist, das Ganze auf eine strukturelle Ebene zu heben. So etwas ist mir nicht passiert, weil ich etwas Falsches anhatte. Das passiert, weil wir ein strukturelles Gesellschaftsproblem mit Sexismus haben.“
die macht nehmen
Auch kennen die Aktivistinnen das Gefühl, gecatcallt zu werden und sich im Nachhinein zu ärgern, nicht reagiert zu haben. „Das ist ja die Waffe des Catcalls. Uns in einem nicht vorhersehbaren Moment zu erwischen und uns klein zu machen – manchmal wünscht ma sich, danach etwas gesagt zu haben, war jedoch in dem Moment einfach zu perplex.“
Den einen richtigen Umgang mit sexistischen Sprüchen gäbe es auch gar nicht, erklären die zwei. Schließlich läge die Verantwortung für die Catcalls nicht bei den Betroffenen: „Wir als Betroffene sind nicht verantwortlich dafür, wenn wir auf der Straße beleidigt werden. Andersrum sind wir auch nicht verantwortlich dafür, einen Bildungsprozess bei anderen auszulösen.“
Wer sich persönlich in der Situation sicher fühle und sich das zutraue, könne mit Gegenfragen kontern: „Fragen wie: ‚Was meinen Sie damit? Wieso reden Sie mich so an? Oder können Sie das bitte wiederholen?‘ verwende ich gerne in solchen Situationen. Das nimmt den Menschen, die einen belästigen, auch ein bisschen die Macht“, erzählt Lorena. Wichtig sei es jedoch auch, Distanz aufzubauen, vor allem in bedrohlichen Situationen: „Wenn man das Gefühl hat, die Situation könnte gefährlich für einen werden, ist das Letzte, was man machen sollte, zu antworten. Wichtig ist es, auf das eigene Gefühl zu hören und sich im Zweifelsfall zu schützen.“
Sich gegenseitig empowern.
Catcalls sind in Österreich vom Strafgesetzbuch nicht erfasst und somit auch nicht gerichtlich strafbar. Laut Paula und Lorena wären Strafen jedoch wichtig, um die gesellschaftliche Sichtbarkeit von verbaler sexueller Gewalt zu fördern: „Es gibt bereits Länder, in denen Catcalling unter Strafe steht, wie in Portugal oder Belgien. Solange das in Österreich nicht der Fall ist, müssen wir es deswegen auf einem anderen Weg schaffen.“
Wichtig sei deshalb auch Aufklärungsarbeit, vor allem bei jungen Menschen. „Es gibt so viele junge Mädchen, die in der Pubertät sind, verängstigt und gestresst sind, und dann kommt jemand und ruft ihnen so etwas hinterher. Und wenn wir ihnen mit unserer Arbeit wenigstens ein bisschen Last abnehmen können, ist schon so viel geholfen“, so Lorena.
Wer die Initiative unterstützen wolle, sei jederzeit herzlich willkommen – egal ob durch Mitgehen auf die Straße, Likes bei Instagram oder kreative Arbeit wie Stickerherstellung. „Am meisten hilft es, dass wir uns gegenseitig zuhören und empowern. Es gibt wahnsinnig viel Kraft, ein Teil der Veränderung zu sein“, fügt Paula abschließend hinzu.
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Tjara-Marie Boine ist Redakteurin für die Ressorts Business, Leben und Kultur. Ihr Herz schlägt für Katzen, Kaffee und Kuchen. Sie ist ein echter Bücherwurm und die erste Ansprechpartnerin, wenn es um Themen wie Feminismus und Gleichberechtigung geht.
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