Von Quotenfrauen und alten weißen Männern: Stereotype in der Arbeitswelt
Wie wir Schluss machen mit Vorurteilen in der Arbeitswelt.
© Sapna Richter
Stereotype, Klischees und Vorverurteilungen begegnen uns tagtäglich. Auch vor der Arbeitswelt machen diese keinen Halt: Die Quotenfrau, die den Vorständ:innenposten nur wegen ihres Geschlechts erhalten hat, der alte weiße Mann, der seine Privilegien nicht hinterfragen will, oder die IT-Nerds, die hinter abgedunkelten Jalousien vor dem Computer hocken und nie das Tageslicht sehen.
Als junge Frau mit Migrationshintergrund und erfolgreiche Tech-Expertin hat auch Annahita Esmailzadeh Vorverurteilung bereits mehrfach am eigenen Leib erlebt. Die Tech-Leaderin, Autorin und Speakerin ist Führungskraft bei Microsoft und brachte im August ihr neues Buch „Von Quotenfrauen und alten weißen Männern‟ heraus, In Diesem will die 30-jährige Schluss machen mit Vorurteilen in der Arbeitswelt.
Im Interview berichtet sie uns, was Säbelzahntiger mit Schubladendenken zu tun haben, welche fatalen Folgen Stereotype haben können und wie wir unsere eigenen Schubladen ausmisten können.
Niemand fragt aufgrund der Quote willkürlich unqualifizierte Frauen auf der Straße, ob sie Lust darauf hätten, einen Aufsichtsratposten zu besetzen.
-Annahita Esmailzadeh
Wir alle wurden schon in Schubladen gesteckt und haben auch selbst Vorurteile gegenüber anderen. Wieso kategorisieren wir Menschen trotzdem immer wieder?
Annahita Esmailzadeh: Lief unseren Vorfahren einst ein Säbelzahntiger über den Weg, vergewisserten sie sich nicht zuerst, ob es sich um ein menschenfreundliches Exemplar handelte, sondern rannten idealerweise schnurstracks um ihr Leben. In der Steinzeit waren Vorurteile, die als mentale Abkürzungen unsere Entscheidungsfindung unterstützen, von existenzieller Wichtigkeit.
Auch wenn unser Überleben glücklicherweise nicht mehr an die Flucht vor Säbelzahntigern geknüpft ist, arbeitet unser Gehirn immer noch ressourcenschonend, um potenziell gefährliche Situationen stereotypisch einzuordnen. Wir lernen somit auch schon von klein auf, Menschen intuitiv zu „stereotypisieren‟ und anhand von ihren sichtbaren Merkmalen unbewusst Kategorien zuzuordnen, die mit gewissen Eigenschaften verknüpft sind.
Welche Folgen hat dieses Schubladendenken für unser Miteinander im Arbeitskontext?
Die Konsequenz ist, dass Menschen Jobs gar nicht erst bekommen, ungerechtfertigte Leistungsbewertungen erhalten oder nicht aufgrund von Fähigkeiten, Potenzialen oder Leistungen gefördert werden. Dies ist für Betroffene und Unternehmen schädlich. Eine von Schubladendenken geprägte Kultur fördert Silodenken, Ellenbogenmentalität und intransparente Kommunikation.
Dabei nehmen Unzufriedenheit und Konflikte am Arbeitslatz zu, während das Zusammengehörigkeitsgefühl sowie Motivation und Produktivität der Belegschaft zunehmend sinken. Dies führt wiederum zu einem Anstieg der Fluktuation, wodurch nicht nur hohe Kosten aufgrund des daraus resultierenden Rekrutierungs- und Einarbeitungsaufwands entstehen, sondern auch Know-how und wertvolle Talente verloren gehen.
Welchen kognitiven Verzerrungen können wir im beruflichen Kontext zum Opfer fallen?
Besonders häufig begegnen uns der Affinity Bias und der Conformity Bias. Gemäß des Affinity Bias stellen Menschen bevorzugt Personen ein die ihnen ähneln. Dieses Ähnlichkeitsprinzip hat nicht nur zur Folge, dass qualifizierte Bewerber:innen nicht berücksichtigt, sondern auch, dass immer homogenere Teams gezüchtet werden. Homogene Teams wiederum neigen häufiger zum Gruppendenken (Conformity Bias), wodurch abweichende Meinungen oder konträre Ansätze oft nicht so offen adressiert werden, um der Mehrheitsmeinung zu entsprechen und nicht negativ aufzufallen.
Welche Stereotype und Vorurteile begegnen uns in der Arbeitswelt am häufigsten?
Das Klischee des ewigen alten Mannes ist in der Arbeitswelt genauso omnipräsent wie das Bild der vermeintlich unterqualifizierten Quotenfrau. Vorurteile machen vor „zu jungen‟ genauso wenig Halt wie vor „zu alten‟ Mitarbeiter:innen. Auch rund um Familienplanung und Erziehung ranken sich viele Geschlechterklischees: So wird Frauen im gebärfähigen Alter vielerorts durchgehend ein Kinderwunsch unterstellt, auch wenn sie gar keine Kinder bekommen wollen oder können.
Dieser pauschale Gebärverdacht ist gefährlich, denn die Frage nach einem Kinderwunsch geht für viele Menschen mit komplexen und manchmal auch sehr schmerzhaften Antworten einher. Halten Frauen mit Kind weiterhin an ihrer Karriere fest, werden sie als Rabenmütter abgestempelt, wohingegen ihnen fehlende berufliche Ambitionen unterstellt werden, wenn sie für die Familie im Job kürzertreten.
Im Gegenzug werden Männer mit Skepsis konfrontiert, falls sie eine längere Elternzeit nehmen. Ebenso begegnen Menschen auf dem Arbeitsmarkt im Falle von fehlenden akademischen Abschlüssen Hürden. Auch rund um die soziale und ethnische Herkunft von Menschen ist gesellschaftliches Schubladendenken weitverbreitet, das sich auch in der Arbeitswelt in Rassismus und Klassismus niederschlagen kann.
Stichwort Quotenfrau: Wie viele Quotenfrauen braucht es Ihrer Meinung heutzutage noch?
Aktuell sind die Top-Positionen in der Politik und Wirtschaft noch sehr männlich und homogen besetzt, wodurch auch der Blick auf die Welt männlich geprägt ist. Die Quote und sogenannte Quotenfrau hilft dabei, qualifizierten Frauen die Türen zu öffnen, die ihnen sonst aufgrund traditioneller Machtstrukturen wahrscheinlich verschlossen bleiben würden.
Der Sinn der Frauenquote ist nicht, wahllos Frauen in Positionen zu heben, die sie nicht verdienen. Niemand fragt aufgrund der Quote willkürlich qualifizierte Frauen auf der Straße, ob sie zufällig Lust darauf hätten, einen Aufsichtsratposten zu besetzen. Die Quote ist nüchtern betrachtet nichts anderes als ein Instrument, um einer unterrepräsentierten Bevölkerungsgruppe einen gleichberechtigteren Partizipationsanteil zu ermöglichen. Sie ist hierbei jedoch kein Garant für Vielfalt über alle Diversitätsdimensionen hinweg. Sie bleibt wirkungslos, wenn sich an den zugrunde liegenden Denkmustern und Stereotypen sowie an bestehenden strukturellen Herausforderungen nichts ändert.
Die Quote ist nüchtern betrachtet nichts anderes als ein Instrument, um einer unterrepräsentierten Bevölkerungsgruppe einen gleichberechtigteren Partizipationsanteil zu ermöglichen.
Annahita Esmailzadeh
Warum spielen Führungskräfte eine Schlüsselrolle bei der Bekämpfung von Vorurteilen?
Führungskräfte in Unternehmen spielen mit ihren Worten und ihrem Handeln eine entscheidende Schlüsselrolle für die Bekämpfung von Vorurteilen, da sie nicht nur die Unternehmenskultur prägen und entsprechende Rahmenbedingungen definieren, sondern auch selbst eine wichtige Vorbildfunktion innehaben.
Wir können wir es schaffen, unsere eigenen Schubladen „auszumisten‟ und unbewusste Vorurteile zu vermeiden?
Will man Vorurteile aktiv bekämpfen, ist eines unerlässlich: Wir müssen akzeptieren, dass wir sie überhaupt haben. Wir alle sind nicht vor unbewusster Voreingenommenheit und Schubladendenken gefeit. Nur wenn wir uns dessen bewusst sind, sind wir in der Lage, unsere eigenen Schubladen stetig offen zu halten, zu reflektieren und regelmäßig auszumisten.
Welche Entwicklungen wünschen Sie sich für die Arbeitswelt?
Ich wünsche mir mehr Bewusstsein für den Unconscious Bias, um konkrete Strukturen und Maßnahmen zu etablieren, die aktiv gegen diesen gerichtet sind.
Zum nachlesen:
Das könnte dich auch interessieren:
- Mental Load: Die unsichtbare Last des Alltags
- Work hard, play hard? – Ein Blick auf unsere kapitalistische Arbeitswelt
- Kinderleicht: Geldgespräche mit Kindern führen
Mehr zur Autorin dieses Beitrags:
Tjara-Marie Boine ist Redakteurin für die Ressorts Business, Leben und Kultur. Ihr Herz schlägt für Katzen, Kaffee und Kuchen. Sie ist ein echter Bücherwurm und die erste Ansprechpartnerin im Team, wenn es um Themen wie