© Unsplash/Henri Pham

Was genau ist Liebe eigentlich?

What is love? Über das Buch "Liebe" von Lone Frank

6 Min.

© Unsplash/Henri Pham

Die Neurobiologin Lone Frank hat sich auf die Suche nach einer Formel für eines der wichtigsten Gefühle der Menschheit gemacht. Sie ist nicht planbar, trifft uns manchmal unverhofft und überwältigt uns mit voller Wucht. Manchmal treibt sie uns in Zustände des vollkommenen Glücks, manchmal katapultiert sie uns in Depressionen und Trauer. Manchmal hat sie Bestand und gibt uns Halt, wenn alles zusammenbricht.

Die Rede ist von der Liebe, einem der größten und mystifiziertesten Gefühle der Menschheit. Auch Lone Frank hat die Kräfte der Liebe und die Erschütterung der Trauer, wenn man genau diese Liebe verliert, erlebt. Nach dem unerwarteten Tod ihres Lebensgefährten fühlte sie sich plötzlich heimatlos und leer, schreibt die Neurobiologin in ihrem neuen Werk „Liebe – Vom höchsten der Gefühle“.

Plötzlich auf sich allein gestellt, ohne andere enge Bindungen, weil sie ihr Leben zuvor hauptsächlich ihrer Partnerschaft gewidmet hatte, fragt die Autorin nach den Ursachen und Bedingungen, warum manche Menschen liebevolle Beziehungen eingehen und warum andere daran scheitern. Wieso gelingt es einigen Menschen zu lieben und geliebt zu werden, anderen wiederum nicht?

Genau diese Fragen will die Autorin in ihrem Werk beantworten – jedoch mit wissenschaftlichem Blick anstatt mit rosaroter Brille.

Zwei Frauen küssen sich
© Unsplash/Artem Ivanchencko

Auf der Spur der Liebe

Um der Liebe auf den Grund zu gehen, bringt die studierte Neurobiologin drei verschiedene Ebenen in ihrem Buch zusammen: Daten aus der Forschung, persönliche Erfahrungen und die Analyse dieser mithilfe eines Psychotherapeuten. „Man kann die Liebe nur verstehen, wenn man sie durch verschiedene Blickwinkel betrachtet“, berichtet Lone Frank im Gespräch mit der TIROLERIN.

„Mit Hilfe der Evolutionstheorie, der Neurobiologie, der Biochemie, der Psychologie, der Soziologie und der Kulturwissenschaften lernt man, die Liebe auf verschiedenen Ebenen kennen. Wenn man diese Ebenen zusammenfügt, erhält man ein vollständigeres Bild und ein tieferes Verständnis von der Liebe.“

Lone Frank, Autorin

Genau dieses tiefere Verständnis war der Autorin dabei besonders wichtig, sie wollte über die übliche Betrachtungsweise von Liebe hinausgehen. Die Themenbereiche tragen alle zu dem Bild bei, das Lone Frank puzzleartig zusammensetzt. Angefangen bei den Ursprüngen der Liebe vor rund 500.000 Jahren: Damals brauchte es mehr Nahrung, als vor Ort zu finden war. Um also die eigenen Kinder ernähren zu können, suchten die Frauen engere Bindungen zu Männern, damit diese für den Nachwuchs auf die Jagd gehen konnten – und gingen somit die ersten Beziehungen ein.

Ein älteres Ehepaar geht spazieren
© Unsplash/Micheile Dot

Messbare Vorgänge

„Um die Aspekte der menschlichen Natur und des menschlichen Gefühlslebens wirklich zu verstehen, muss man auch die biologischen Mechanismen kennen, die dabei eine Rolle spielen“, so die Neurobiologin. „Zu verstehen, was im Gehirn passiert, kann helfen, das eigene emotionale Verhalten zu verstehen und herauszufinden, wie man bestimmte Verhaltensmuster ändern kann.“

Genau diese biologischen Mechanismen beschreibt Lone Frank sehr detailliert – wie auch von einer studierten Neurobiologin nicht anders erwartet. Besonders spannend sind dabei die beschriebenen Mechanismen im Gehirn, wenn wir uns verlieben. Denn diese lassen sich laut Frank tatsächlich sehr genau messen: „Sich zu verlieben, ist eine ganz besondere Form von Liebe“, so die Autorin.

„Man kann es als ein biologisches Programm im Körper beschreiben, das nach eigenen biochemischen Regeln spielt und für einen bestimmten Zeitraum – maximal acht bis zehn Monate – passiert. Im Gehirn spielt sich dabei eine Choreographie von Neurochemikalien wie Dopamin, Serotonin und Oxytocin ab, die nach einem bestimmten Muster ansteigen und abfallen.“ Das Faszinierende daran: Wenn man das Gehirn von Verliebten scannt, ähnelt die Gehirnaktivität der verliebten Person der eines Menschen mit Zwangsstörung. Das ist auch der Grund, warum man nicht aufhören kann, an die Person zu denken.

Liebespaar
© Unsplash/Shingi Rice

Komplexes Zusammenspiel

Neben den Mechanismen im Gehirn spielen jedoch noch einige andere Faktoren eine wichtige Rolle, wenn es darum geht, wie wir lieben. „Die Forschung zeigt, dass unsere Persönlichkeit und unsere Vorlieben von unseren Genen in Zusammenspiel mit unserer Umwelt und unseren Erfahrungen geformt werden. Auch die Erziehung spielt eine Rolle dabei, in wen wir uns zu einem bestimmten Zeitpunkt unseres Lebens verlieben“, so Lone Frank.

Genau diese Erkenntnisse aus der Bindungstheorie seien für sie wie eine Art Offenbarung gewesen: Dabei lässt sie nämlich immer wieder persönliche Beiträge mit einfließen, wie zum Beispiel die Erkenntnis während der Recherche darüber, wie ihre Beziehung zu ihrem Vater auch ihre späteren Beziehungen zu anderen Menschen massiv prägte. Ein Ergebnis, mit dem sie selbst nicht unbedingt gerechnet hatte: „Die Art und Weise, wie wir uns in den ersten Lebensjahren an unsere Eltern binden, begleitet uns auch den Rest unseres Lebens in sozialen Beziehungen.“ Gleichzeitig sei es für sie auch spannend gewesen zu erfahren, welchen Einfluss die eigene soziokulturelle Prägung auf die Liebe hat, berichtet sie. Denn unsere Erwartungen und die Art, wie unsere Gesellschaft die Liebe definiert, würden auch einen Einfluss auf unsere Beziehungen haben.

Ein Mann küsst eine Frau auf die Stirn
© Unsplash/Jonathan Borba

Kaleidoskop der Liebe

Nach und nach zeigt sich so, dass es eine verwobene Wechselwirkung aus Natur und Kultur ist, die uns in unserem Liebesleben begleitet. Aber dass wir uns auch bewusst entscheiden können, welche Menschen wir in unser Leben lassen und welche nicht. Genau das ist auch die zentrale Erkenntnis: Es gibt nicht die eine Antwort auf die Frage, was Liebe eigentlich genau ist. Es ist ein komplexes Kaleidoskop aus verschiedensten Faktoren und bei jedem Menschen individuell: „Das ist auch der Grund, warum Dienste zur Partner:innenvermittlung keine hundertprozentige Garantie für passende Übereinstimmungen geben können – auch wenn sie das oft behaupten“, erzählt Lone Frank abschließend.

Auch grade weil es am Ende des Buches keine richtige Antwort gibt, ist ihr Werk so facettenreich und vermittelt eine wichtige Botschaft: Man kann die Liebe lernen, wenn man die eigene Vergangenheit akzeptiert und sich ein gewisses Grundwissen über die Liebe aneignet. Ganz nach dem Motto: „Der Weg ist das Ziel.“

Über

Lone Frank wurde 1966 geboren, ist Neurobiologin und eine von Dänemarks führenden Wissenschaftsjournalist:innen.

Zum Nachlesen:

„Liebe. Vom höchsten der Gefühle“ von Lone Frank, € 25,70, ISBN: 978-3-0369-5889-7, Kein & Aber Verlag

„Liebe. Vom höchsten der Gefühle“ von Lone Frank, € 25,70 | ISBN: 978-3-0369-5889-7 | Kein & Aber Verlag
© Kein & Aber Verlag

Mehr zur Autorin dieses Beitrags:

Kultur-Redakteurin Tjara-Marie Boine bei der TIROLERIN
© TIROLERIN

Tjara-Marie Boine ist Redakteurin für die Ressorts Business, Leben und Kultur. Ihr Herz schlägt für Katzen, Kaffee und Kuchen. Sie ist ein echter Bücherwurm und die erste Ansprechpartnerin im Team, wenn es um Themen wie Feminismus und Gleichberechtigung geht.

Abo

Die TIROLERIN – immer mit dabei