Migräne, Symbolbild, stürmisches Wetter, Wolken

Migräne verstehen: Ute Woltron im Interview

Ute Woltron teilt ihre Geschichte in ihrem neuen Buch

7 Min.

© Unsplash/Max Bovkun

Plötzlich ist da dieser stechende Schmerz, der alles lahmlegt. Wer einmal eine Migräneattacke erlebt hat, weiß: Mit „ein bisschen Kopfweh“ hat das nichts zu tun. Und kennt die Vorurteile, die der Krankheit immer noch entgegengebracht werden. Doch Migräne ist keine selbst verschuldete Unpässlichkeit, die auftritt, weil man mal wieder zu wenig getrunken hat. Sie ist eine anerkannte neurologische Erkrankung, wegen der man im Ernstfall in der Notaufnahme landet.

Weltweit leidet etwa jede:r Siebte regelmäßig darunter. Doch Migräne ist nicht gleich Migräne. Es gibt unterschiedliche Formen, verschiedene Auslöser – und zum Glück auch wirksame Möglichkeiten, dagegen anzugehen.

Was ist Migräne?

Migräne ist mehr als „nur Kopfschmerzen“. Sie ist eine neurologische Erkrankung, die oft in Schüben verläuft und den Alltag stark beeinträchtigen kann. Typische Begleitsymptome: Übelkeit, Licht- und Lärmempfindlichkeit, manchmal sogar Sehstörungen oder Kribbeln.

Die verschiedenen Arten von Migräne

  • Migräne ohne Aura: Die häufigste Form. Typisch: pulsierender, einseitiger Kopfschmerz, Übelkeit, Empfindlichkeit gegenüber Licht und Geräuschen.
  • Migräne mit Aura: Vor den Schmerzen treten neurologische Symptome auf: Flimmern vor den Augen, Sprachstörungen oder Taubheitsgefühle. Diese Aura dauert meist 20–60 Minuten, dann folgt die Kopfschmerzphase.
  • Chronische Migräne: Wenn die Beschwerden an mehr als 15 Tagen pro Monat auftreten. Oft besonders belastend, da kaum schmerzfreie Tage bleiben.
  • Menstruationsbedingte Migräne: Eng verbunden mit hormonellen Schwankungen. Viele Frauen berichten über Attacken kurz vor oder während der Periode.

Was hilft gegen Migräne?

Die Behandlung hängt von der Schwere und Häufigkeit der Attacken ab.

Akutmaßnahmen:

  • Rückzug in einen ruhigen, dunklen Raum.
  • Viel Flüssigkeit, kühle Kompressen.
  • Medikamente: Schmerzmittel wie Ibuprofen oder spezielle Migränemittel (Triptane).

Unterstützende Methoden:

  • Entspannungstechniken wie Progressive Muskelentspannung oder Atemübungen.
  • Leichte Bewegung (z. B. Spaziergänge) kann helfen, wenn sie frühzeitig eingesetzt wird.

Migräne vorbeugen:

  • Regelmäßiger Schlafrhythmus
  • Zu wenig, aber auch zu viel Schlaf kann Attacken begünstigen.
  • Ausgewogene Ernährung
  • Auslöser wie Alkohol, sehr fettige Speisen oder Glutamat meiden.
  • Viel Gemüse, Vollkornprodukte und Omega-3-Fettsäuren unterstützen das Nervensystem.

Stressmanagement

  • Stress ist einer der größten Trigger: Yoga, Meditation, Spaziergänge oder auch bewusst eingelegte Pausen wirken vorbeugend.
  • Hydration: Genug Wasser trinken, da Dehydration Migräne auslösen kann.
  • Bewegung: Regelmäßiger Ausdauersport (Joggen, Schwimmen, Radfahren) kann die Häufigkeit und Intensität der Attacken reduzieren.

Die Journalistin Ute Woltron leidet seit sie 19 Jahre alt ist unter Migräne und hat längst alle Therapien ausprobiert. Ihr neues Buch – ein Reisebericht durch ihr Leben mit Migräne – soll vor allem eines: Mut machen.

Heute nicht, ich hab Migräne - Buch von Ute Woltron
© Hersteller

Frau Woltron, welche Erinnerungen haben Sie an Ihre allererste Migräneattacke?

Ute Woltron: Ich saß gerade in der Straßenbahn, als ein wilder Schmerz plötzlich zu bohren begann. Ich wusste nicht, was mit mir passierte, ob ich einen Schlaganfall oder einen Gehirntumor hatte. Es war jedenfalls beängstigend.

In Ihrem Buch sagen Sie, jeder Mensch hat seine ganz persönliche Migräne. Wie würden Sie Ihre eigene beschreiben?

Eine Migräneattacke zu schildern ist kaum möglich. Ich betrachte meine Migräne als ständig anwesenden Kobold, der an guten Tagen irgendwo im Hintergrund ruht. Doch wenn er unternehmungslustig wird, wächst er zum Monster heran und erobert den gesamten Organismus. Die Empfindungen verändern sich, die Farben verschwinden, man versinkt in Schmerz, Übelkeit, Kälte und einer seltsam verzerrten, verlangsamten Zeit.

Inwieweit hat dieser Kobold Ihr privates und berufliches Leben geprägt?

Er hat in vielerlei Hinsicht ein ohnehin in mir angelegtes Eigenbrötlertum verstärkt. Außerdem hat er meine weitgehende Unabhängigkeit und Selbständigkeit befördert, auch eine gewisse Kompromisslosigkeit, die es mir erleichtert, die guten Tage in vollen Zügen auszukosten. Ich empfinde das als unfreiwilliges Geschenk, sozusagen als erfreuliche Nebenwirkung. Wir haben uns gegenseitig weich und hart geprügelt, meine Migräne und ich.

Ute Woltron zum Thema Migräne
© Gregor Kuntscher

Migräne gilt als Volkskrankheit, wird aber von Außenstehenden oft als Kopfweh abgetan. Warum, glauben Sie, hält sich dieses Vorurteil so hartnäckig?

Weil es uralt ist und nicht zuletzt jahrhundertelang von den meist männlichen Medizinern gestützt wurde. Der letztgültige Beweis, dass Migräne eine neurologische Erkrankung und kein hysterisches Frauenleiden ist, konnte erst um die Jahrtausendwende dank jahrzehntelanger wissenschaftlicher Arbeit erbracht werden. Diese Erkenntnis muss sich jedoch erst herumsprechen – das war der wichtigste Beweggrund, das Buch zu schreiben.

Frauen sind dreimal häufiger von Migräne betroffen als Männer. Spielt das Ihrer Meinung nach eine Rolle bei der gesellschaftlichen Wahrnehmung?

Auf jeden Fall! Den historischen Aussagen der Ärzteschaft zum Thema „hysterische Frauen“ und deren „Schwäche“ habe ich mit großer Genugtuung ein eigenes Kapitel gewidmet. So wie den betroffenen Migräne-Männern, die besonders unter dem Stigma leiden, weil sie sich mit einer sogenannten Frauenkrankheit durch das Leben schleppen. Für Männer ist Migräne aufgrund der vielen Vorurteile eine noch größere gesellschaftliche Hürde als für Frauen.

Auf der Suche nach Hilfe bewältigen viele Betroffene einen regelrechten Therapie-Dschungel, und auch Sie haben unzählige Therapien ausprobiert. Was war Ihr größter „Flop“, was Ihr überraschendster Erfolg und wo stehen Sie heute?

Der größte Reinfall war ein gepriesener Wunderheiler, der das Übel mit einer Stimmgabel beseitigen wollte, was natürlich völliger Unsinn war. Der – übrigens von mehreren Ärzt:innen vorgeschlagene Versuch – die Übelkeit mit geringen Dosen Cannabis zu bekämpfen, war ein Volltreffer, ebenso die Ernährungsumstellung auf Low-Carb und Intervallfasten, und natürlich die vom Neurologen verschriebene Prophylaxe.

Welche Rolle spielt darüber hinaus Akzeptanz – der Gedanke, sich mit der Migräne zu verbünden, statt gegen sie anzukämpfen?

Die persönliche Akzeptanz ist nicht als passives Erdulden zu verstehen, man muss vielmehr aktiv herausfinden: Was tut mir einerseits gut? Was schadet andererseits dem Kobold? Diese Kombination ist für mich der Schlüssel zu einer Art innerem Waffenstillstand. Denn so kann man lernen, die Migräne in Schach zu halten. Das erfordert jedoch Geduld, Konsequenz und aufmerksames Selbststudium.

Heute wissen wir mehr über Migräne als noch vor wenigen Jahren. Welche wissenschaftlichen Erkenntnisse machen Ihnen Hoffnung?

Alle. Es hat sich dank spezialisierter Forschung unglaublich viel getan, sowohl was die Akuttherapie betrifft als auch die Prophylaxe. Zudem gibt es heute viel mehr Neurolog:innen, die sich mit Kopfschmerz und allen Spielarten der Migräne intensiv befassen, und nur solche sollte man als Patient:in aufsuchen.

Wo sehen Sie trotzdem noch die größten Lücken?

Diagnose und Medikamente stellen kein Problem dar, da ist sehr vieles vorhanden. Doch um zu einer korrekten Einschätzung und den passenden Medikamenten zu gelangen, müssen Betroffene die vorhin genannten Spezialisten aufsuchen, und das tun sie zu selten. Zu viele Menschen quälen sich mit unbehandelter Migräne und Schmerzstillern durch ihr Leben. Von allen anderen wünscht man sich nur eines: Verständnis.

Und zum Schluss: Welchen Mutmach-Satz möchten Sie gerne anderen Betroffenen mitgeben, die mit Migräne leben?

Ihr seid nicht allein. Wir sind sehr viele. Bitte holt euch Hilfe, bewahrt dabei jedoch Geduld. Allen Menschen kann auf medizinischem Weg geholfen werden, doch den inneren Friedensvertrag mit dem persönlichen Kobold muss jeder für sich selbst verhandeln. Schafft man das, ist man gerettet.

Fazit

Migräne ist komplex und individuell – doch wer die Art seiner Migräne kennt, kann gezielter gegensteuern. Ob durch Medikamente, Entspannung oder eine gesunde Lebensweise: Es gibt viele Wege, Attacken zu lindern oder sogar vorzubeugen. Wichtig ist, genau hinzuhören, was den eigenen Körper triggert – und Strategien zu entwickeln, die langfristig Entlastung bringen.

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Über die Autorin:

© Birgit Pichler

Leonie Werus betreut die Ressorts Genuss, Wohnen, Freizeit und Gesundheit. Sie ist ein echter Workhaholic und weiß es jede Minute gut für sich zu nutzen. Mit ihren Airfryer, liebevoll Fritti genannt, probiert sie gerne neue Rezepte und versucht nebenbei das TIROLERIN-Team zum Sport zu motivieren – meist leider vergeblich.

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