Burn-out erkennen und bewältigen
Von Müdigkeit und andauernder Energielosigkeit bis zur Überforderung: Burn-out-Betroffene fühlen sich so erschöpft, dass nichts mehr geht. Verhaltenstherapeutin Anna Aglan verrät, woran das liegt – und wie wir vorbeugen können.
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Immer mehr Aufgaben und steigende Erwartungen: Unser Arbeitsalltag ist oft geprägt von engen Deadlines, drängenden E-Mails und To-do-Listen, die scheinbar nie enden wollen. Erschöpfung und Überforderung sind in unserer schnelllebigen Zeit weitverbreitet – und immer mehr Menschen entwickeln Burn-out. Doch woran erkennt man diesen Zustand, und was unterscheidet ihn von anderen psychischen Belastungen?
Die Verhaltenstherapeutin, klinische Psychologin und Gesundheitspsychologin Anna Aglan erklärt im Interview, wie Burn-out entsteht, welche Warnsignale ernst genommen werden sollten und welche Schritte Betroffene sowie Arbeitgebende gehen können, um die Erschöpfungsspirale zu durchbrechen.
Wir alle fühlen uns mal erschöpft, gestresst oder ausgelaugt. Woran erkennt man, dass man tatsächlich von einem Burn-out betroffen ist?
Anna Aglan: Typische Anzeichen für Burn-out sind das Gefühl, im Alltag nicht mehr „zu funktionieren“ wie früher – einfache Aufgaben werden zur Belastung und man fühlt sich dauerhaft erschöpft, ohne dass Schlaf wirklich Erholung bringt. Dieser Zustand kann sich schleichend über Monate oder Jahre entwickeln.
Wichtig ist, Burn-out von Depression und Angststörungen zu unterscheiden: Depression ist oft von tiefer Traurigkeit geprägt, Burn-out hingegen durch kognitive Probleme wie Konzentrationsstörungen. Bei Angststörungen stehen meist körperliche Symptome wie Herzrasen, Zittern oder Atemnot im Vordergrund, begleitet von katastrophisierenden Gedanken.
Burn-out ist keine eigenständige Diagnose, sondern zeigt Überlappungen mit anderen Erkrankungen. Die Entstehungsgeschichte und spezifische Auslöser sind daher entscheidend für die Differenzierung und Behandlung.
Offiziell ist Burn-out auf berufsbedingte Belastungen bezogen, aber besonders in Care-Berufen und pflegenden Kontexten zeigt es sich sehr oft.
Anna Aglan, Verhaltenstherapeutin
Spricht man auch von einem Burn-out, wenn Menschen im privaten Bereich mit Care-Arbeit oder Mental Load belastet sind?
Offiziell ist Burn-out vor allem auf berufsbedingte Belastungen bezogen, aber die Übergänge sind fließend. Besonders in Care-Berufen und pflegenden Kontexten zeigt sich Burn-out sehr oft. Menschen, die sich intensiv um Angehörige kümmern, erleben eine ähnliche Erschöpfung und Isolation wie Berufstätige in einem stressigen Job.
Das Problem ist auch hier: Die Belastung wird oft als selbstverständlich angesehen und nicht als Belastungsfaktor gewertet, obwohl sie gleich erschöpfend sein kann und oft Menschen betrifft, die es gewohnt sind, ständig alles alleine leisten zu müssen.
Wie verbreitet ist Burn-out in unserer Gesellschaft und gibt es Branchen oder Lebenskontexte, die stärker betroffen sind?
Von der Weltgesundheitsorganisation gibt es eine Schätzung, die zeigt, dass 20 bis 30 Prozent der arbeitenden Bevölkerung in Europa betroffen sein könnte. Eine ähnliche Prävalenz gibt das Robert Koch-Institut an, während andere Untersuchungen noch weit höhere Zahlen anführen.
Burn-out tritt in vielen Bereichen auf, vor allem in Berufen mit hoher sozialer oder körperlicher Belastung. Pflegekräfte, Lehrer:innen und IT-Spezialist:innen sind beispielsweise häufiger betroffen.
Auch Schichtarbeit ist ein Risikofaktor, da sie die Schlafarchitektur stört und der Schlaf weniger erholsam sein kann. Interessant ist, dass mittlerweile auch Schüler:innen Burn-out-Symptome zeigen – oft ausgelöst durch Leistungsdruck und gesellschaftliche Erwartungen, die bereits im jungen Alter bestehen.
Auch Schüler:innen können Burn-out-Symptome zeigen – oft ausgelöst durch Leistungsdruck und gesellschaftliche
Anna Aglan, Verhaltenstherapeutin
Erwartungen, die bereits im jungen Alter bestehen.
Und welche Rolle spielen gesellschaftliche Trends wie ständige Erreichbarkeit und hohe Leistungsanforderungen dabei?
Eine große! Die Digitalisierung sowie Corona haben unsere Arbeit grundlegend verändert. Ständige Erreichbarkeit durch Smartphones und die Arbeit im Homeoffice führen dazu, dass die Grenze zwischen Privatem und Beruf verschwimmt, was die Dauerbelastung und den Stresspegel erhöht und zugleich die Erholung erschwert. Besonders betroffen sind Personen, die sich sehr mit ihrer Arbeit identifizieren und ihre eigenen Belastungsgrenzen nicht gut einschätzen können – auch neurodivergente Menschen sind hier oft anfälliger.
Gibt es geschlechterspezifische Unterschiede beim Burn-out-Risiko?
Ja, Frauen sind häufiger betroffen, wahrscheinlich weil sie oft zusätzliche Aufgaben wie Care-Arbeit übernehmen. Studien zeigen, dass Frauen etwa doppelt so oft an Burn-out leiden wie Männer. Allerdings sind Männer oft zögerlicher, über Erschöpfung zu sprechen, da es gesellschaftlich für sie leider weniger akzeptiert ist, „Schwäche“ zu zeigen. Männer bleiben dadurch oft allein mit ihren Belastungen und sind therapeutisch unterversorgt – das zeigt sich in den generell höheren Suizidraten bei Männern.
Wie wirksam sind aus Ihrer Sicht Methoden zur Stressbewältigung und welche Techniken sind besonders effektiv bei der Vorbeugung von Burn-out?
Die wirksamsten Methoden sind Bewegung, Achtsamkeit und das Setzen klarer Grenzen. Bewegung hilft, den Hormonhaushalt zu regulieren und wirkt sich positiv auf das allgemeinen Energielevel aus. Achtsamkeit hilft, den eigenen Stress besser wahrzunehmen, und das klare Setzen von Grenzen, auch im Beruf, schützt vor Überlastung. Zusätzlich ist es wichtig, soziale Kontakte und Hobbys zu pflegen – viele vernachlässigen diese Bereiche, die wesentlich zur psychischen Gesundheit beitragen.
Burn-out kann dabei auch eine Chance sein, unbewusste Muster und Glaubenssätze zu hinterfragen, die sich beim Aufwachsen in unserem Gehirn entwickelt haben und die Stress oder Erschöpfung begünstigen. So können beispielsweise Überzeugungen wie „Ich bin nur liebenswert, wenn ich etwas leiste“ erkannt und bearbeitet werden.
Ebenso kann es hilfreich sein, sich mit „unverdauten“ Themen aus der Vergangenheit auseinanderzusetzen. Diese zeigen sich häufig in einem Vermeidungsverhalten, bei dem Leistung dazu dient, unangenehme Gefühle wie Verlassenheitsängste, schmerzhafte Erinnerungen oder innere Leere zu überspielen. Das Bewusstwerden solcher Mechanismen und eine gezielte Bearbeitung können nicht nur zur Stressbewältigung beitragen, sondern auch langfristig zu einem gesünderen Umgang mit den eigenen Ressourcen führen.
Burn-out kann auch eine Chance sein, unbewusste Muster und Glaubenssätze zu hinterfragen, die sich beim Aufwachsen in unserem Gehirn entwickelt haben und die Stress oder Erschöpfung begünstigen.
Anna Aglan, Verhaltenstherapeutin
Der offene Umgang mit dem Thema Burn-out am Arbeitsplatz kann sehr herausfordernd sein. Wie kann man als betroffene Person am besten mit dem:der Arbeitgeber:in darüber sprechen?
Der Umgang mit dem:der Arbeitgeber:in ist natürlich sehr individuell und hängt von der Unternehmenskultur ab. Grundsätzlich kann es hilfreich sein, offen über die Belastung zu sprechen und gemeinsam Lösungen zu suchen – wie eine Reduzierung der Arbeitszeit oder eine Änderung der Arbeitsbedingungen.
Es ist auch wichtig, Grenzen zu setzen und ein Arbeitsumfeld zu schaffen, in dem Beruf und Privatleben nicht ständig verschwimmen. Leider gibt es auch Fälle, in denen ein Jobwechsel die beste Lösung ist, falls der Arbeitsplatz nicht die nötige Unterstützung bieten kann.
Was sollten Unternehmen im besten Fall tun, wenn sie bei Mitarbeitenden Burn-out erkennen?
Arbeitgebende können viel tun, indem sie regelmäßige Gespräche mit Mitarbeitenden führen und auf eine gesundheitsförderliche Unternehmenskultur achten. Wichtig ist, dass Mitarbeitende ein gewisses Maß an Kontrolle und Einfluss auf ihre Arbeit und ihre Arbeitsbedingungen haben.
Strukturen, die ständige Erreichbarkeit und zu hohe Verantwortung fördern, erhöhen das Burn-out-Risiko. Ein klarer Rahmen, in dem das Privatleben respektiert und in dem eine empathische und wertschätzende Unternehmenskultur sowie ein gutes Berufsklima gefördert werden, ist ein wichtiger Faktor zur Burn-out-Prävention.
Wie kann ein realistischer Weg zurück in den Alltag und ins Berufsleben aussehen, und welche Strategien helfen, einen Rückfall zu vermeiden?
Ein wichtiger erster Schritt ist die Diagnose. Manchmal können auch versteckte psychische Belastungen wie eine komplexe posttraumatische Belastungsstörung hinter einem Burn-out stecken, die durch gezielte Diagnostik erkannt werden können.
Ein bewährtes Modell für die Rückkehr in das Berufsleben ist das sogenannte Hamburger-Modell, eine stufenweise Wiedereingliederung. Betroffene beginnen mit wenigen Stunden Arbeit pro Woche und steigern sich langsam. Das gesamte Programm wird ärztlich begleitet und individuell an den Gesundheitszustand angepasst. So wird eine nachhaltige Rückkehr in den Arbeitsalltag ermöglicht, ohne die Betroffenen zu überfordern.
Wann ist es sinnvoll, professionelle Hilfe zu suchen, und gibt es spezifische Anlaufstellen, die Sie Betroffenen empfehlen würden?
Betroffene sollten als ersten Schritt einen Therapieplatz suchen. Ein:e Psychiater:in kann bei schwerwiegenden Symptomen mit Medikation helfen, um den Körper zu stabilisieren. Weitere Optionen sind ambulante oder stationäre Einrichtungen, wie psychiatrische Ambulanzen, die oft auch kurzfristig Unterstützung anbieten können. Wer akute Hilfe benötigt, kann sich direkt an eine psychiatrische Ambulanz wenden, wo meist ein schneller Zugang zu ersten Beratungen und Medikamenten besteht.
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Mehr zur Autorin dieses Beitrags:
Tjara-Marie Boine ist Redakteurin für die Ressorts Business, Leben und Kultur. Ihr Herz schlägt für Katzen, Kaffee und Kuchen. Sie ist ein echter Bücherwurm und die erste Ansprechpartnerin im Team, wenn es um Themen wie Feminismus und Gleichberechtigung geht.