Außergewöhnliche Kunst mit Frank und Patrik Riklin

Die Kunst von Frank und Patrik Riklin passiert da, wo sie niemand erwartet. Warum auch der Tourismus von dieser Herangehensweise profitieren kann.

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© Atelier für Sonderaufgaben

Sie stellen ein Doppelbett in die Landschaft, schicken eine Stubenfliege in einem Flugzeug um die Welt und verwandeln die Altstadt von St. Gallen in ein gigantisches Picknickfeld: Mit ihrem „Atelier für Sonderaufgaben“ haben es sich die Konzept- und Aktionskünstler Frank und Patrik Riklin zur Aufgabe gemacht, Festgefahrenes zu hinterfragen und Menschen in ihrem Alltag mit ihren disruptiven Projekten zu konfrontieren – ob sie nun wollen oder nicht.

Was bedeutet Kunst Frank und Patrik Riklin?

Patrik Riklin: Für mich ist Kunst eine Notwendigkeit. Ich würde die Realität nicht aushalten, wenn ich keine Kunst machen dürfte. Gleichzeitig ist sie für mich auch ein Medium, um mich kritisch auszudrücken, mich querzustellen und dem Alltag Paroli zu bieten. Vor diesem Hintergrund sehe ich die Kunst als Geschenk. Viele Leute meinen, wir seien verrückt, aber ich würde wahrscheinlich richtig verrückt werden, wenn ich die Kunst nicht hätte.

Frank Riklin: Um es kurz auf den Punkt zu bringen: Kunst bedeutet für uns Freiheit. Die Freiheit zu experimentieren, Geschichten und Ereignisse zu produzieren, die außerhalb von bekannten Regeln oder gängigen Normen stattfinden – und damit neue Wirklichkeiten zu erschaffen. In unserem Fall heißt das: Wir bringen die Kunst dorthin, wo sie niemand erwartet, und erschaffen dadurch neue Wirkungsfelder. Aber das ist nur unsere Definition, ein:e Maler:in würde das sicher anders sehen.

© Mario Baronchelli

Worin unterscheidet sich Ihre Kunst von der einer Malerin oder eines Malers?

Frank Riklin: Mit dem Begriff „Künstler“ assoziiert fast jede:r einen Pinsel oder eine Skulptur im Atelier. Unser Atelier ist die Gesellschaft – und die ist riesengroß, also haben wir sozusagen ein gigantisches Atelier. Man könnte sagen, wir meißeln unsere Bilder in den Alltag, als Tableau vivant. Dadurch werden auch jene Menschen Teil des Gesamtwerkes, die noch nie mit Kunst zu tun hatten.

Ihre Kunst findet nicht in Galerien und Museen, sondern vorrangig im öffentlichen Raum Ausdruck. Warum?

Patrik Riklin: Wir haben beide Kunst studiert und zunächst auch versucht, im klassischen Kunstbetrieb Fuß zu fassen. Wir haben uns mit Menschen aus der Branche vernetzt und an vielen Ausstellungen mitgemacht, sind aber letztlich am Rahmen gescheitert. Viele Menschen fanden unsere Arbeit nicht gut, wir waren oft frustriert und haben immer häufiger unsere eigene Identität reflektiert: Was machen wir hier eigentlich? Passt das zu uns? Was ist unsere künstlerische Vision? Dann haben wir uns sukzessive aus dem Kunstbetrieb hinausbewegt. Aber auch die Arbeit außerhalb des Kunstbetriebs hat zu Irritationen geführt: Ist es jetzt Kunst, was wir machen, oder etwas anderes? Ist es Wirtschaft oder ist es einfach ein kreatives unternehmerisches Agieren? Und genau mit dieser Unsicherheit haben wir begonnen zu operieren.

Letztlich war es eher eine Mentalität, für die wir uns entschieden haben. Dabei standen Fragen im Fokus wie: Wie tickst du? Was bewegt dich? Welche Emotionen hast du, wenn du etwas tust? Irgendwann haben wir festgestellt, dass der Kunstbetrieb für all die Dinge, die wir eigentlich wollen, gar nicht zwingend notwendig ist. Und dann sind wir abgehauen wie zwei Tiere, die aus dem Zoo ausbrechen. Wir haben uns bewegt, um anderes zu bewegen. Wir sind ausgebrochen, um neu einbrechen zu können.

© Atelier für Sonderaufgaben

Frank Riklin: Im klassischen Kunstbetrieb wäre unsere Arbeit wahrscheinlich ohne große Wirkung, sie würde nichts verändern. Für uns bedeutet Kunst eben auch, Menschen zu verführen und in die Welt des unüblichen Denkens und Handelns einzuladen. Wir möchten sie zu Kompliz:innen unserer künstlerischen Idee machen, zu einem Teil unseres Konzepts. Und dieses Konzept kann nicht im geschützten, isolierten und geordneten Rahmen eines Museums stattfinden, wo man oft nur leise sprechen und nichts anfassen darf und vieles intellektualisiert wird. Die Schicklichkeit des Kunstbetriebs war uns nie geheuer. Deshalb bevorzugen wir den Alltag im öffentlichen Raum – weil er offen, unkontrolliert und sehr dynamisch ist. Es geschehen Zufälle und es entstehen Reibungsflächen und es kommt zur Konfrontation: Das ist das Spannende.

Wir möchten Menschen zu Kompliz:innen unserer künstlerischen Idee machen.

Frank Riklin
© Atelier für Sonderaufgaben

Wie reagieren die Menschen auf Ihre Kunstwerke?

Frank Riklin: Wir haben festgestellt, dass Menschen schnell irritiert sind, wenn wir unsere Kunst in der Gesellschaft platzieren, weil sie eben nicht in die Alltagsrealität passt. Sobald sie erkennen, dass es sich um ein Kunstwerk handelt, sind sie geradezu erleichtert. Sie können das Gesehene einordnen und es von der Realität distanzieren. Im Museum ist man immer irgendwie geschützt, weil man sagen kann: Ich weiß, ich gehe da rein, betrachte die Werke, dann gehe ich wieder raus und zurück ins normale Leben. Unsere Kunst dagegen ist ein Stolperstein. Die Menschen stolpern über unsere Arbeit und realisieren erst später: Ah, das ist Kunst. Und genau darin liegt die besondere Kraft unserer Projekte. Wir sprechen in diesem Zusammenhang auch von einer kreativen Störung, weil wir direkt in andere Realitäten eingreifen.

Patrik Riklin: Viele denken auch im ersten Moment, dass wir es lustig meinen mit unseren Projekten. Dabei meinen wir es ernst. Aber unsere Botschaft ist eben erst auf den zweiten Blick erkennbar. Unsere Kunst ist kein Schöngeist und keine Inspiration, die man sich an die Wand hängt, sondern sie bewegt sich auf einer anderen Wahrnehmungsebene. Sie interveniert mit Unerwartetem, unterwandert Festgefahrenes und verschiebt bestehende Grenzen. Und wir arbeiten auch mit dem Zufall, denn im Alltag ist eben nicht alles kontrollierbar.

© Gianluca Colla

Wie entsteht ein neues Projekt – von der Idee bis zur fertigen Installation?

Patrik Riklin: Wir nutzen kein Design Thinking oder ähnliche Strategien, so funktionieren wir nicht . Die erste Idee für ein neues Projekt entsteht meist zufällig im Alltag, indem wir das, was wir wahrnehmen, reflektieren. Dabei formen sich bereits erste Bilder und Fantasien. Dann versuchen wir, Menschen mit einer spezifischen Fragestellung zu konfrontieren und sie als „künstlerische Kompliz:innen“ zu gewinnen, die unsere Vision unterstützen, auch finanziell. Diese Menschen stehen schließlich auch im Zentrum unserer Arbeit.

Frank Riklin: Im Grunde kann man unsere Projekte in vier Schritte gliedern: die Bilder im Kopf, die Suche nach Kompliz:innen, die minutiöse Planung und Vorbereitung des Projekts und schließlich die tatsächliche Umsetzung. Diese Schritte werden natürlich kommunikativ begleitet und dramaturgisch inszeniert. Beispielsweise, indem wir eine Fliege namens Erika bei der Kunstaktion „Fliegenretten in Deppendorf “ 2012 in ein Flugzeug gesetzt haben – mit dem ersten Flugticket, das je für ein Insekt ausgestellt wurde. Solche Performance-Maßnahmen verstärken die Außenwahrnehmung. Ganz grundsätzlich verlaufen unsere Projekte aber nicht immer nach dem gleichen Rezept, das wäre ja langweilig. Und auch während des Prozesses gibt es immer wieder Wendepunkte, wenngleich die künstlerische Idee immer die gleiche bleibt.

© Atelier für Sonderaufgaben

Sie haben ja den Begriff der „Artonomie“ geprägt. Was steckt dahinter?

Frank Riklin: Artonomie ist die Verschmelzung von Kunst und Wirtschaft, ohne dass sich die Kunst verbiegt oder zu rein kommerziellen Konzepten instrumentalisiert oder missbraucht wird. Es ist sozusagen der Kern unserer künstlerischen Haltung. Die Kunst kommt dabei immer zuerst, erst dann folgt die Ökonomie. Wir finden, die Kunst ist ein Hilfsmittel, das in der Wirtschaft und generell in unternehmerischen Prozessen noch viel zu wenig berücksichtigt wird. Ein:e Unternehmer:in kann durch die Kunst plötzlich ganz andere Inhalte verfolgen – und dadurch vielleicht auch die Mitarbeiter:innen auf einer anderen Ebene begeistern und motivieren. Gleichzeitig braucht Kunst die Ökonomie, schon alleine, um sie zu finanzieren.

Fliegen retten in Deppendorf. Das schweizer Künstlerduo Frank und Patrik Riklin präsentieren zusammen mit dem Bielefelder Unternehmer Dr. Hans-Dietrich Reckhaus die offizielle Zahl der geretteten Fliegen. 902 Fliegen wurden am Samstag 1. September 2012 in Deppendorf von Dorfbewohnern gesammelt und gerettet.

Patrik Riklin: Im Projekt „Fliegenretten in Deppendorf “ ist es uns zum ersten Mal gelungen, durch den künstlerischen Zugang eine bestehende Geschäftsphilosophie auf den Kopf zu stellen und ein ganz neues Geschäftsmodell zu entwickeln. Um den Zugang zu diesen neuen Wirklichkeiten zu vereinfachen, haben wir eine eigene Formel entwickelt: Frage, multipliziert mal Fantasie, geteilt durch unübliche Handlung, ergibt die neue Wirklichkeit. Bei „Fliegenretten in Deppendorf “etwa stand am Anfang die Frage an den Unternehmer Hans Dietrich Reckhaus, Hersteller von Insektentötungsmitteln: „Wie viel Wert hat eine Stubenfliege für dich als Insektenbekämpfer?“ Dann haben wir diese Frage mit der Fantasie multipliziert und den Unternehmer vom Insektenbekämpfer zum Insektenretter transformiert. Zu guter Letzt haben wir die unübliche Handlung gesetzt – mit der gemeinsamen Kunstaktion „Fliegenretten in Deppendorf “, die ein ganzes Dorf mobilisierte und die Fliege Erika in ein 5-Sterne-Wellness-Hotel führte.

Aufbau und Vorbereitung für die Aktion „Fliegen retten in Deppendorf“ bei Bielefeld. Das Schweizer Aktionsduo „Sonderaufgaben“ bestehend aus Frank und Patrik Riklin haben für den Unternehmer Dr. Hans -Dietrich Reckhaus das Event geplant.

Haben Sie diese Formel auch beim „Null Stern Hotel“ angewendet?

Frank Riklin: Begonnen hat das Projekt eigentlich im Jahr 2008 mit einer kleinen Kunstinstallation in der Schweizer Gemeinde Sevelen (SG). Die Gemeinde kam auf uns zu und bat uns, eine künstlerische Idee zu entwickeln, um eine bestehende Zivilschutzanlage in eine attraktive Übernachtungsmöglichkeit zu verwandeln. Und ja, wir haben uns auch hier wieder die Frage gestellt: Was wäre, wenn ein Bunker plötzlich salonfähig wäre? Dann haben wir die Fantasie entwickelt, wie es wäre, wenn wir ein unkonventionelles Hotel mit null Sternen, das mit einfachsten Mitteln betrieben wird, erfinden und so eine Antwort auf den Größen- und Luxuswahn der heutigen Zeit geben.

Der Clou war: Die Zahl Null bedeutet nicht den Verzicht auf Komfort, sondern die Freiheit, Luxus neu zu definieren – abseits der gängigen Hotelklassifikationen. Dadurch haben wir versucht, den Tourismus in die Welt des unüblichen Denkens und Handels zu verführen. Natürlich ist diese Herangehensweise nicht einfach für eine Branche, die ihr Handeln bisher nicht wirklich hinterfragt hat. Diese Fähigkeit muss man trainieren.

NULL STERNE. Wie verwandelt man eine Zivilschutzanlage in eine attraktive Übernachtungsmöglichkeit? © Atelier für Sonderaufgaben

Patrik Riklin: Wir haben ja später auch eine Landversion des „Null Stern Hotel“ ins Leben gerufen, wo wir unter dem Titel „Konsequente Immobilienbefreiung ein Doppelbett unter freiem Himmel in die Schweizer Berge gestellt haben, ohne Dach und Wände. Wir haben die Landschaft zur Tapete erklärt, in einem imaginären Hotelgebäude.

Welche Auswirkungen hatte das Projekt?

Frank Riklin: Sobald wir unsere Kunst praktizieren, weckt das Emotionen. Manche Leute finden sie gut, andere schlecht, manche sind berührt, andere reagieren abwehrend. In jedem Fall war das Medieninteresse riesig und die Nachfrage von Gästen stieg rasant an, fast jede:r wollte einmal im „Null Stern Hotel“ übernachten. Heute sind immer noch 10.000 Leute auf der Warteliste. Auch Touristiker:innen waren anfänglich Feuer und Flamme für das Projekt, sie hatten ebenfalls Lust, diesen Weg zu gehen. Aber ihr Interesse galt hauptsächlich dem hohen Maß an Aufmerksamkeit.

Patrik Riklin: Ja, die Bilder gingen um die Welt und das war für die Tourismusregion auch ein unglaublich gutes Marketinginstrument. Aber die unübliche Handlung beinhaltet, dass man eben auch handelt. Schöne Prospekte reichen nicht und sind auch nicht mehr zeitgemäß. Dort, wo alle gehen, wächst kein Gras. Man kann nicht im Büro sitzen und ein paar schöne Posts mit irgendwelchen Bildern organisieren, sondern man muss wirklich raus in den Alltag und die neue Wirklichkeit auch verkörpern, die Menschen bewusst miteinbeziehen – Performance im Vollkontakt sozusagen. Das erzeugt Erlebnisse und Emotionen und erzielt auch eine größere Aufmerksamkeit als klassisches Marketing, nebenbei muss man weniger Geld in die Hand nehmen.

Aber daran sind die Touristiker:innen letzten Endes gescheitert – sie wollen zwar Aufmerksamkeit, aber so wenig wie möglich dafür tun. Da gibt es noch viel Luft nach oben. Es braucht natürlich auch den ehrlichen Willen, eine Vision zu verfolgen und neue Ideen zu entwickeln, alles andere ist Effekthascherei. Deshalb sprechen wir in diesem Zusammenhang auch lieber von „Macheting“ statt Marketing: Denn nur, wer wirklich handelt, kann auch etwas bewirken.

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