Auf Sendung: Über die Radiogeschichte Tirols
Vom Ohr ins Herz: Benedikt Kapferer beleuchtet in seinem neuen Buch die facettenreiche Geschichte des Radios in Tirol.
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Das Radio ist wie ein ständiger Begleiter, der uns durchs Leben führt – mal als leise Hintergrundmusik, mal als lebendiger Erzähler, der uns die Welt ins Wohnzimmer bringt. Besonders in Tirol, wo die Radiogeschichte tief mit der Region verwoben ist, hat das „Wunder der Wellen“ eine besondere Bedeutung.
Benedikt Kapferer, Journalist und Radiokenner, erzählt in seinem neuen Buch „Das Mikrofon im Dorf“ erstmals die umfassende Geschichte des Radios in Tirol. Von den frühen Anfängen über die Zeit des Nationalsozialismus bis hin zur modernen Radiolandschaft nimmt er uns mit auf eine Reise durch die Jahrzehnte und zeigt, wie nah uns das Radio stets geblieben ist.
Dein Buch ist das erste, das die Tiroler Radiogeschichte so umfassend beleuchtet. Woher kommt deine Faszination für dieses Medium?
Benedikt Kapferer: Radio war für mich schon in meiner Kindheit sehr präsent. Besonders in Erinnerung sind mir Live-Übertragungen vom Tiroler Fußball, wenn zum Beispiel der FC Wacker gespielt hat und mein Papa unbedingt die packenden Berichte von Rainer Dierkes hören wollte. Dass jemand an einem völlig anderen Ort in einem Moment zu vielen Menschen sprechen und sie trotz Entfernung emotional mitreißen kann, ist eigentlich immer noch unvorstellbar.
Dass jemand an einem völlig anderen Ort in einem Moment zu vielen Menschen sprechen und sie trotz Entfernung emotional mitreißen kann, ist eigentlich immer noch unvorstellbar.
Benedikt Kapferer, Autor und Journalist
Du arbeitest beim ORF Tirol und bist tief in der Radiowelt verankert. Wie hat dein beruflicher Hintergrund die Entstehung des Buches beeinflusst?
Ausschlaggebend war ein Forschungsprojekt, das der ORF Tirol förderte und das ich 2021 und 2022 am Institut für Zeitgeschichte der Universität Innsbruck bearbeiten durfte. Dafür habe ich die Geschichte des Rundfunks von den 1920er-Jahren bis in die 1970er-Jahre untersucht, viele Archive durchstöbert und Interviews mit Zeitzeug:innen geführt. Nach Abschluss des Projekts stieg ich beim ORF Tirol selber in den Journalismus ein. Das Jubiläum „100 Jahre Radio“ im Herbst 2024 war schließlich der ideale Anlass für das Buch.
Für das Buch hast du sehr umfangreich recherchiert. Gab es bei der Beschaffung der Recherchematerialien auch Herausforderungen?
Solche Recherchen sind immer eine Reise, bei der man das genaue Ziel nicht kennt. Man hat zwar einen Kompass mit einer Richtung, aber gleichzeitig bleibt man offen für unerwartete Wendungen. Besonders herausfordernd war die Forschungsarbeit während der Corona-Pandemie. Damals waren viele Archive nicht zugänglich.
Dasselbe gilt für Zeitzeug:innen. Ich hatte aber noch die Ehre, die Radiolegende Ernst Grissemann per Videokonferenz zu interviewen. Auch für meine neuen Recherchen heuer habe ich die einen oder anderen Interviewpartner:innen online oder telefonisch befragt. Außerdem war es schwierig, dass es noch nicht viel Literatur zur regionalen Radiogeschichte gab.
Welche Gespräche oder Begegnungen sind dir dabei besonders in Erinnerung geblieben?
Die Begegnungen mit den teilweise jahrzehntelang „radioaktiven“ Menschen waren zweifelsfrei ein Highlight in der gesamten Arbeit am Buch. Besonders prägend waren die Gespräche mit Ernst Grissemann, Wolfgang Kirchmair, Rainer Dierkes, Mareta Luchner, Gudrun Liener oder Thomas Kamenar. Sie alle waren echte Pionier:innen in der Radioszene und gleichzeitig extrem unterstützend bei meinen Recherchen.
Das Radio ist ein „bildloses“ Medium, das dennoch die Vorstellungskraft anregt. Wie hast du versucht, diese besondere Qualität im Buch einzufangen?
Im Grunde geht es um Storytelling – egal ob im Bereich Unterhaltung, Information, Bildung oder Musik. In diesem Sinne habe ich versucht, unterschiedliche Geschichten von unterschiedlichen Menschen zu erzählen, sie mit politischen, sozialen, kulturellen und technischen Entwicklungen zu verknüpfen und neben Fotos mit den Beschreibungen, Quellen und Zitaten die Bilder im Kopf entstehen zu lassen. Das ist ja gleichzeitig auch die Stärke und die Schönheit des Mediums, dass wir selbst die Bilder schaffen können und die Fantasie angeregt wird.
Das ist gleichzeitig die Stärke und die Schönheit des Mediums Radio, dass wir selbst die Bilder schaffen können und die Fantasie angeregt wird.
Benedikt Kapferer, Autor und Journalist
Du schreibst, dass mit den Radiopionierinnen Margarete und Helene Gastgeber auch weibliche Stimmen zu hören waren, das Radio jedoch lange Zeit von Männern dominiert wurde.
Wie hat sich die Rolle der Frauen im Tiroler Radio über die Jahrzehnte hinweg entwickelt?
Frauen wie die beiden Schwestern Gastgeber galten als sympathische Stimmen aus dem Radiogerät. Vor allem Margarethe Gastgeber legte als mutige und unbekümmerte junge Frau den Grundstein für weibliche Stimmen im Äther. Führungspositionen blieben für sie aber lange Zeit außer Reichweite. Gudrun Seelos musste sich Mitte der 1970er-Jahre ihren Platz im männerdominierten Aktuellen Dienst erkämpfen. Auch Margit Humer-Seeber, Heide Birkner oder Mareta Luchner zählten zu wichtigen „Role Models“.
Eine weitere Pionierin ist Melanie Bartos, die einen der ersten Wissenschaftspodcasts im deutschsprachigen Raum startete. Durch sie alle wurden Radio und Journalismus zu Bereichen, in denen Frauen eine tragende Rolle spielen. 2022 kam mit Landesdirektorin Esther Mitterstieler erstmals eine Frau an die Spitze des ORF Tirol.
Wie hat sich die Rolle des Radios während des Nationalsozialismus von der in der Ersten Republik und der Nachkriegszeit unterschieden?
Das NS-System vereinnahmte den Rundfunk auf noch nie dagewesene Weise. Radio als grenzenloses und horizonterweiterndes Kultur- und Bildungsinstrument wurde zum Sprachrohr von Hass und Hetze und zum Ventil der Manipulation umfunktioniert. Neben der nationalsozialistischen Ideologie gab es nur seichte Unterhaltung, „fremde“ Strömungen wurden verboten, und Hörer:innen von ausländischen „Feindsendern“ wurden verfolgt.
Nach der Befreiung 1945 veränderte sich das Klangbild erneut, und eine gänzlich neue Geräuschkulisse machte sich breit. Statt kulturellem Einheitsbrei und NS-Getöse ertönte eine neue sprachliche und musikalische Vielfalt mit Jazz und Co.
Radio ist heute vielfältiger denn je. Welche Zukunft siehst du für das Radio in Tirol?
Nach 100 Jahren ist Radio nach wie vor enorm beliebt. Die unterschiedlichen Programme von unzähligen Sendern erreichen jeden Tag Millionen von Menschen und begleiten sie durch den Tag. Das Spannende ist, wie Tradition und Innovation auch in Zukunft miteinander verknüpft werden – Stichwort künstliche Intelligenz oder automatisierte Stimmen. Der Drang, mitreißende Geschichten zu erfahren und die Magie der Musik zu erleben, wird aber hoffentlich immer bleiben.
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Mehr zur Autorin dieses Beitrags:
Tjara-Marie Boine ist Redakteurin für die Ressorts Business, Leben und Kultur. Ihr Herz schlägt für Katzen, Kaffee und Kuchen. Sie ist ein echter Bücherwurm und die erste Ansprechpartnerin im Team, wenn es um Themen wie Feminismus und Gleichberechtigung geht.