Zwischen Stigmatisierung und Selbstbestimmung
Drei Sozialarbeiterinnen der Organisation iBUS (Innsbrucker Beratung und Unterstützung für Sexarbeiter:innen) im Gespräch.
© iBUS/Helena Manhartsberger
Sexarbeit ist ein Thema, das oft mit Stigmatisierung und Vorurteilen verbunden ist. Der Begriff umfasst unterschiedliche Dienstleistungen, von High Class Escort über Telefonsex, Pornodarstellungen, Straßenarbeit bis hin zu Sexualbegleitung. In der Tiroler Landeshauptstadt setzt sich die Organisation iBUS (Innsbrucker Beratung und Unterstützung für Sexarbeiter:innen) dafür ein, die Lebens- und Arbeitsbedingungen von Sexarbeiter:innen zu verbessern und ihre Selbstbestimmung zu stärken. Bei einem Besuch der iBUS-Stelle, berichten uns drei Sozialarbeiterinnen von den Zielen der Organisation, ihrer täglichen Arbeit und darüber, warum es so wichtig ist, Sexarbeit als Erwerbsarbeit anzuerkennen. Da sie selbst bereits mehrfach Anfeindungen und Bedrohungen aufgrund ihres Berufes erhalten haben, möchten die Tirolerinnen anonym bleiben.
Empowerment
„iBUS ist ein Teil von AEP, dem Arbeitskreis Emanzipation und Partnerschaft, der mit 50 Jahren der älteste feministische Verein in Tirol ist”, berichtet uns Andrea* (*Namen von der Redaktion geändert), die bereits seit zehn Jahren bei der Organisation angestellt ist. iBUS sei der jüngste Schwerpunkt der Einrichtung, der 2012 gegründet wurde, als der Straßenstrich in Innsbruck recht groß war, es jedoch kein umfassendes Beratungsangebot für Sexarbeiter:innen in Tirol gab. „Damals war es sehr notwendig, dass iBUS entstanden ist”, erzählt Sarah*, die seit März diesen Jahres Teil des Teams ist. Kostenlos, anonym und vertraulich bietet die Einrichtung Personen, die in sexuellen Dienstleistungen arbeiten oder gearbeitet haben, Beratungen an. Im Mittelpunkt stehen dabei vor allem die Förderung, Unterstützung und Ermöglichung der Autonomie, Selbsthilfe und Empowerment der Sexarbeiter:innen, fügt Melanie* hinzu: „Wir arbeiten akzeptierend. Es gibt leider auch viele Beratungseinrichtungen, die wollen, dass Sexarbeiter:innen aus ihrem Beruf aussteigen — wir stellen die Berufswahl nicht infrage und wollen sie in ihren Bedürfnissen unterstützen.”
Freiwilligkeit
Wichtig sei es, zwischen Sexarbeit und Menschenhandel zu unterscheiden, betont Andrea: „Dass es auch Menschen gibt, die in einem Zwangsverhältnis gefangen sind, wollen wir nicht verschleiern. Diese Personen haben jedoch ganz andere Bedürfnisse und benötigen andere Unterstützungsangebote. Solche Vorfälle müssen wir an Frauenhäuser oder an die Interventionsstelle für Betroffene von Frauenhandel in Wien weitervermitteln. In unserer Arbeit haben wir es hauptsächlich mit Personen zu tun, die sich bewusst für diesen Beruf entschieden haben. Menschen, die ausgebeutet und ausgenutzt werden, müssen ganz anders unterstützt werden.” Bei Opfern sexueller Ausbeutung handele es sich nicht länger um Sexarbeit, sondern um Menschenhandel, der unter Strafe steht, erklären die drei. Ein Ziel der Einrichtung sei auch, die Sexarbeit als Erwerbsarbeit anzuerkennen, denn nur so können rechtliche Rahmenbedingungen verbessert werden. „Es gibt leider auch viele radikale, weiße feministische Strömungen oder christliche Gruppierungen, die der Meinung sind, Sexarbeit ist keine Arbeit, sondern reine Ausbeutung. Wir erleben jedoch nur das Gegenteil.Natürlich haben unsere Klient:innen auch mal mehr und mal weniger Lust auf ihren Job. Wie in anderen Berufen auch”, so Sarah. „Aber sie machen ihren Beruf freiwillig. Für die einen ist Sexarbeit einfach nur eine rentable Einkommensquelle, andere haben diesen Beruf ganz bewusst gewählt.”
Aufklärung
Das Team konzentriert sich hauptsächlich auch Besuche am Arbeitsplatz oder während Pflichtuntersuchungen im Gesundheitsamt. Auch Streetwork gehörte früher zu ihrem Portfolio, aufgrund von Gesetzesänderungen sei die Arbeit auf der Straße jedoch nicht mehr legal. Für Tirol gilt, dass Sexarbeit außerhalb behördlich genehmigter Bordelle und Erlaubniszonen, die in Tirol jedoch gar nicht existieren, illegal und strafbar ist. Sexarbeiter:innen hätten zahlreiche Pflichten, wie eine Registrierungs- und Steuerpflicht, sechswöchentliche amtsärztliche Untersuchungen, Kranken- und Unfallversicherung, Tätigkeit nur an genehmigten Arbeitsorten, aber unverhältnismäßig wenige Rechte. Die Bandbreite der Beratungsleistungen umfasse deswegen vor allem steuerliche Angelegenheiten, Versicherungsfragen, Arbeitsbedingungen und Rechtsaufklärungen. Pro Jahr gäbe es rund 70 Klient:innen, die das Beratungsangebot in Anspruch nehmen. „Oft geht es um akute Sachen, beispielsweise beim Erhalt von Behördenbriefen.” Aber auch eine Einstiegsberatung oder die Organisation von Vorträgen und Workshops wird von iBUS übernommen: „Wir laden geoutete Sexarbeiter:innen ein, die offen über ihre Arbeit sprechen, oder gheen in Polizeischulen, um darüber aufzuklären, dass Sexarbeiter:innen Menschen mit Rechten sind. Wir organisieren auch Fotoausstellungen oder Filmabende.”
Entkriminalisierung
Die Entkriminalisierung von Sexarbeit sowie der Kampf gegen Diskriminierung und Stigmatisierung sind eine der Hauptanliegen der Organisation, denn durch Letztere würden die Arbeits- und Lebensbedingungen von Sexdienstleister:innen nur erschwert werden. „Wir versuchen das öffentliche Stigma abzubauen, das dem Beruf beischwingt. Oft verheimlichen Sexarbeiter:innen ihren Beruf und das hängt viel mit Diskriminierung zusammen“, so Andrea. „Leider kommt es immer wieder vor, dass Sexarbeiter:innen in ihrem Freundes- oder Verwandtenkreis ungewollt geoutet werden und dadurch Konsequenzen verspüren. Oft haben ihre Kinder dann im Kindergarten oder in der Schule Nachteile.“ Die Illegalisierung und Kriminalisierung des Berufsfeldes würden nur weiter zu einer Verdrängung in den unsichtbaren Bereich führen. Missstände könnten nur gemeldet werden, wenn Sexarbeit als Arbeit anerkannt wird, fassen die drei zusammen.
Anerkennung
Eine weitere Säule bildet auch das Ziel der Gesetzesänderung. Sexarbeiter:innen seien auf dem Papier zwar selbstständig, befänden sich jedoch in einer Art Scheinselbstständigkeit – Grund dafür sei auch die geringe Anzahl legaler Arbeitsstätten. „In Innsbruck gibt es nur vier legale Betriebe, in Städten wie Linz oder Graz gibt es 50 bis 60 Betriebe“, erzählt Andrea. Sexarbeiter:innen könnten sich in Tirol deswegen viel schwieriger aussuchen, wo sie arbeiten wollen und seien so auf die Betreiber:innen angewiesen. Diese würden jedoch teilweise die Rechte der Arbeiter:innen missachten: „In einigen Tiroler Betrieben wird beispielsweise vorgegeben Oralverkehr ohne Schutz durchzuführen. Eigentlich müssten die Arbeiter:innen jedoch selbst entscheiden dürfen was sie anbieten.“ Auch das gesetzliche Verbot von Begleitservices, Haus- und Hotelbesuchen oder das Anmieten eines eigenen Studios würde die Arbeitsbedingungen der Sexarbeiter:innen nur weiter erschweren. „Wenn es mehr legale Arbeitsplätze geben würde und Sexarbeiter:innen gemeinsam eine Wohnung anmieten, ein Ministudio eröffnen und dort ihre Dienstleistungen anbieten könnten, wären die Betreiber:innen auch ein bisschen mehr genötigt, ihre Arbeitsvorgaben zu verbessern“, erklärt Sarah und weist darauf hin, dass dies in Bundesländern wie der Steiermark oder Oberösterreich bereits erlaubt ist: „Die Freude und Sicherheit an dem Beruf wird natürlich gesteigert, wenn man selbst bestimmen kann, wann, wo, wie lange und mit wem man arbeitet. Und das geht halt schwierig, wenn dir die Betriebe Regeln vorschreiben, die du nicht selbst gewählt hast.“
Doppelmoral
Sexarbeit sei ein emotional viel diskutiertes Thema, so die Sozialarbeiterinnen. Dabei gäbe es jedoch eine gesellschaftliche Doppelmoral – auf der einen Seite würden Sexarbeiter:innen als kriminelle Täter:innen angesehen, auf der anderen als Opfer, die angeblich gerettet werden müssen: „Lassen sich Sexarbeiter:innen nicht in diese Opferrolle drängen, wird ihnen noch verstärkt der Stempel ‚Hure‘ aufgedrückt“, so Melanie. Oft würde den Frauen dann selbst zugeschrieben, Schuld für Gewalterfahrungen zu sein. „Es wird so getan, als sei das Berufsrisiko – was natürlich nicht stimmt.“ Auch die drei Sozialarbeiterinnen selbst mussten sich in ihrem Umfeld bereits Anfeindungen anhören, weil sie Unterstützungsarbeit in dem Bereich leisten: „Jede:r glaubt, zu dem Thema eine Meinung zu haben.“ Dabei würde jedoch primär über Sexarbeiter:innen gesprochen und nicht mit ihnen. Die Beratungseinrichtung wünscht sich deshalb, Sexarbeiter:innen zu mehr Rechten zu verhelfen und sie zu empowern, damit sie künftig als selbstständige Akteur:innen wahrgenommen werden und für sich selbst sprechen können.
Sexarbeit sollte als Arbeit anerkannt werden, damit auch die Forderung nach umfassenden Arbeitsrechten anerkannt wird.
-Melanie, Sozialarbeiterin iBUS