Mariya Menner, gehörlose Schauspielerin im Interview

„Ich kann alles außer hören“

Mariya Menner ist nicht nur die erste gehörlose Schauspielerin in einem österreichischen Kinofilm, ihre Mission und Message sind vielfältig.

7 Min.

© Elsa Okazaki

Sie steht auf Tina Turner, zieht drei Kinder groß, unterrichtet und hat einen fabelhaften Humor: Mariya Menner ist nicht nur die erste gehörlose Schauspielerin in einem österreichischen Kinofilm, ihre Mission und Message sind vielfältig.

Kinofilme haben selten so lange Titel. Damit er bleiben kann, dafür musste sie kämpfen, sagt Filmemacherin Marie Luise Lehner: „Wenn du Angst hast, nimmst du dein Herz in den Mund und lächelst“ ist ein Zitat aus Aglaja Veteranyis bewegendem autobiografischen Roman „Warum das Kind in der Polenta kocht“ (Penguin Verlag). Im Film sagt Isolde den Satz zu ihrer Tochter Anna, als sie im Hallenbad am Sprungturm steht, sie lächelt daraufhin – und springt. Es ist eine der vielen unvergesslichen Szenen, die sich beinahe lautlos ihren Weg ins Herz bahnen.

Inhalt des Films

Anna lebt mit ihrer Mutter im Wiener Gemeindebau, Isolde ist gehörlos und unterhält sich in Gebärdensprache mit ihrer Tochter. Für den Schulskikurs reicht das Geld der Alleinerzieherin nicht aus, der gefälschte Ralph-Lauren-Pulli soll ein bisschen Eintrittskarte ins neue Gymnasium sein.

Auf den ersten Blick ist es ein Coming-of-Age-Film. Auf den zweiten ist es eine filmische Perle, die mit schöner Selbstverständlichkeit auch von der Vielfältigkeit der Menschen erzählt, davon, wie sehr Armut und Ausgrenzung schmerzen können, aber auch davon, wie Menschen einander mit Fürsorge, Liebe und Humor tragen können.
Im Kino startete „Wenn du Angst hast, nimmst du dein Herz in den Mund und lächelst“ – bereits mehrfach preisgekrönt, unter anderem im Zuge der Weltpremiere bei der Berlinale und bei der Diagonale – am 26. September.

Mariya Menner, Film
© Hersteller

Über Mariya Menner

Mariya Menner nahm ebenso ihr Herz in den Mund und sprang ins kalte Wasser. Es ist ihre erste Filmrolle und sie ist damit auch mit ziemlicher Sicherheit die erste gehörlose Schauspielerin in einer Hauptrolle in einem österreichischen Kinofilm. Die Gebärdensprachdozentin an der FH Gesundheit Tirol arbeitete zu Hause am Laptop, als sie die Nachricht erhielt, „dass eine taube Schauspielerin für einen Film gesucht wird“. Das sei ihr unmöglich erschienen, es habe sie aber auch gereizt, erzählt sie im Interview.

Drei Kids zieht Mariya Menner groß – ihre Tochter Estefania ist bereits erwachsen, ihre Teenietochter Lovelyn stand selbst schon mit Patricia Aulitzky vor der Kamera und der Jüngste ist Energiebündel Leonas. Sie lebt mit ihrem Mann und ihrer Familie in Schwaz.

Mariya Menner, gehörlose Schauspielerin im Interview
© Elsa Okazaki

Wie wurden Sie Isolde?

Mariya Menner: Ich habe mich getraut, eine Bewerbung einzuschicken, ging zum Casting – und schon am nächsten Tag kam die Zusage. Das war eine riesige Überraschung! Ich hatte es einfach gewagt – mein Lebensmotto lautet ja: Ich kann alles, außer hören. Beim Casting war auch Marie (Luise Lehner, Buch und Regie, Anm.) dabei, ich war ehrlich gesagt ein bisschen verwirrt: Sie sah fast aus wie meine Tochter! (lacht) – Wir haben uns sofort gut verstanden, da war gleich eine Verbindung spürbar.

Bei der Rolle von Isolde hatte ich schnell ein „Ja, das bin ich“-Gefühl. Die Regie und das Team haben mir das Vertrauen geschenkt, die Figur zum Leben zu erwecken – ein riesiges Geschenk für mich. Auch die Zusammenarbeit mit Siena (Popović, sie spielt Tochter Anna, Anm.) war wunderbar! Wir haben viel gelacht, uns gegenseitig unterstützt und auch die ernsten Momente gemeinsam geübt. Ich habe das Gefühl, wir haben uns gegenseitig total bereichert.

Wie haben Sie den Filmdreh erlebt, wie konnten Sie sich verständigen?

Ich habe die Zeit am Set sehr intensiv und emotional erlebt, auch weil vieles neu für mich war. Aber es wurde mir alles sehr gut erklärt, sodass ich mich von Anfang an wohlgefühlt habe. Die Crew war motiviert, engagiert – und wir waren alle gleichberechtigt und auf Augenhöhe. Eine Dolmetscherin war immer dabei, ich habe nie Barrieren gespürt. Die Kommunikation mit den Schauspieler:innen war immer herzlich.

Ich bin Gebärdensprachpädagogin, meine Arbeit mit Gebärdensprache ist mein großes Herzensprojekt. Aber schon als Kind habe ich oft Theater und Pantomime auf der Bühne gespielt – ich wollte immer Schauspielerin werden. Damals war das für taube Menschen leider kaum möglich. Diese Kinorolle ist für mich etwas ganz
Besonderes. Ich konnte meine Leidenschaft für Schauspiel und meine Erfahrung mit Gebärdensprache wunderbar verbinden und habe viel gelernt.

Was wünschen Sie sich für „Wenn du Angst hast, nimmst du dein Herz in den Mund und lächelst“?

Dass er die Menschen berührt, dass sie spüren, wie viel Mut, Liebe und Zusammenhalt darin stecken. Außerdem hoffe ich, dass der Film zeigt, wie wichtig Begegnung auf Augenhöhe ist – egal ob mit oder ohne Behinderung – und dass er Lust macht, mehr über taube Menschen und Gebärdensprache zu erfahren. Kurz gesagt: Ich möchte, dass die Menschen danach ein bisschen anders auf die Welt schauen.

Sie sind selbst Mutter, spürten Sie Parallelen?

Viele! Bei meiner ersten Tochter Estefania war ich sieben Jahre lang alleinerziehend, und vieles, das ich im Film als Mutter erlebe, kenne ich aus meinem Leben. Die Sorgen, die Liebe und das Loslassen – all das habe ich selbst gefühlt. Das hat mir geholfen, die Rolle noch authentischer zu spielen.

Sie sind aktiv und erfolgreich auf Social Media. Was ist Ihre Motivation?

Ich möchte zeigen, dass taube Menschen ein ganz normales, buntes und spannendes Leben führen, mit Humor, Mut und Kreativität. Gleichzeitig möchte ich meine Arbeit als Schauspielerin und Pädagogin teilen und sichtbar machen, wie vielseitig unsere Welt ist. Meine Message ist: Jede:r kann etwas bewegen, wenn man offen, neugierig und authentisch bleibt, man darf sich nicht von Hindernissen aufhalten lassen.

Sie verwenden immer wieder auch Musik, wie erleben Sie Musik?

Ich verstehe Musik nicht so, wie andere sie hören – ich brauche oft den Bass, um sie zu spüren. Zum Beispiel im Stau oder wenn ich auf meine Kinder warte, drehe ich oft die Musik auf und spüre den schönen Bass richtig in mir. Meine Kinder ärgern sich manchmal und sagen: „Das ist keine Musik, Mama, das ist der Wetterbericht!“ – aber für mich ist es ein Moment, den ich spüre und genieße. Musik ist für mich also weniger Ton und Melodie, sondern ein Gefühl, eine Energie, die mich bewegt. – Ach ja, mein größtes Vorbild in Sachen Energie, Stärke und Leidenschaft: Tina Turner – laut und herzlich wie ich.

Was wünschen Sie sich für gehörlose Menschen? – Und: Es gibt unterschiedliche Ansichten: Welchen Begriff verwenden Sie?

Normalerweise sagen wir einfach „taub“, „taubstumm“ empfinde ich als diskriminierend. Wir sind taub – und wir können sprechen, wenn wir wollen, aber vor allem kommunizieren wir wunderbar über die Gebärdensprache. Wichtig ist, dass man die Menschen respektiert und die Begriffe verwendet, mit denen sie sich wohlfühlen. Ich wünsche mir, dass taube Menschen noch mehr Gleichberechtigung, Sichtbarkeit und Verständnis bekommen – zum Beispiel barrierefreie Möglichkeiten zu arbeiten, zu lernen und Kultur zu erleben.

Wer sollte Gebärdensprache lernen – und gibt es auch gute Apps?

Gebärdensprache sollten alle lernen, die interessiert sind. Besonders hilfreich ist sie für Eltern, Lehrer:innen, Ärzt:innen, Sozialarbeiter:innen oder alle, die mit tauben Menschen arbeiten. Es ist eine tolle Möglichkeit, Barrieren abzubauen und echte Kommunikation auf Augenhöhe zu ermöglichen. Hilfreiche Apps gibt es auch – zum Beispiel die App LINA aus Tirol. Aber nichts ersetzt den persönlichen Kontakt und das Lernen mit Menschen, die Gebärdensprache wirklich leben. Wer mag, kann mit mir lernen – das macht Spaß und man lernt viel schneller.

Wie blicken Sie in die Zukunft?

Ich möchte weiterhin spannende Rollen übernehmen, um die Sichtbarkeit von tauben Menschen zu stärken. Ich hoffe, dass sich noch viele Möglichkeiten ergeben, meine Leidenschaft als taube Schauspielerin vor der Kamera zu leben und Geschichten zu erzählen, die berühren. Außerdem möchte ich meine Arbeit als Pädagogin fortsetzen, junge Menschen in Gebärdensprache und Kommunikation unterstützen und möglichst viele inspirieren, offen auf andere zuzugehen.

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