Komfortzone verlassen, Frau ästhetisch mit Reflektionen im Hintergrund

Rein in die Komfortzone

Erfolg passiert nur außerhalb der Komfortzone, sagt man. Doch bevor du dich über gescheiterte Neujahrsvorsätze ärgerst: Es geht auch anders.

7 Min.

© Aislinn Walker

Komfortzone: eigentlich ein schönes, positiv besetztes Wort. Trotzdem hat sie einen schlechten Ruf, und alle wollen ständig aus ihr ausbrechen. Denn wahres Wachstum und Erfolg können nur jenseits dieser Zone stattfinden – so predigt es zumindest die moderne Selbstoptimierungskultur.

„No pain, no gain“, lautet das Mantra, das uns antreibt, immer höher, schneller, weiter zu streben. Und meint damit: Wer etwas erreichen will im Leben, muss dafür ein gewisses Maß an Schmerz in Kauf nehmen. Von nix kommt nämlich nix. Ohne Fleiß kein Preis!

Sorgenvolle Realität

Vergangenes Jahr befragte das Gallup-Institut 1.000 Österreicher:innen im Alter von 16 bis 70 Jahren zu ihrem Stresslevel und ihren Sorgen. Das Ergebnis: Rund 30 Prozent gaben an, sich (sehr) gestresst zu fühlen, vier von fünf Befragten machen sich regelmäßig Sorgen. Vor allem bei jungen Menschen im Alter von 16 bis 25 Jahren sei das Sorgenausmaß im Vergleich zum Vorjahr deutlich angestiegen, so das Ergebnis der repräsentativen Umfrage. Die Mehrheit der Befragten gab außerdem an, regelmäßig schlecht zu schlafen und nicht erholt aufzuwachen.

Träume größer!

Zugleich werden wir in penetranter Regelmäßigkeit von selbsternannten Motivationscoaches, Sprüchekalendern und Wandtattoos daran erinnert, dass wir einfach nur ein bisschen größer träumen und mehr wagen müssten, um ein glückliches Leben zu führen – denn die wahre Erfüllung beginne dort, wo unser Wohlfühlbereich endet.

Eine Diskrepanz, die die Frage aufwirft: Sind die politisch und wirtschaftlich instabile Weltlage mit Kriegen, Klimakrise und Rechtsruck nicht eigentlich schon unbehaglich genug? Zeigen die zuvor genannten Ergebnisse nicht deutlich, dass wir alle vielleicht ein bisschen mehr Komfortzone bräuchten?

No pain, no gain?

„Dem Unbehagen nachzujagen, kettet uns an das Unbehagen. Doch die Wahrheit ist: Man kann kein erfülltes Leben führen, wenn man sich unwohl fühlt“, konstatiert US-Bestsellerautorin Kristen Butler, die mit ihrem Buch „Raus aus der Komfortzone“ einen Kontrapunkt zur allgegenwärtigen Motivationskultur setzt. Stattdessen plädiert sie für eine radikale Perspektive: Es sei doch viel zielführender, ein Leben zu führen, das Wohlbefinden, Freude und Authentizität in den Mittelpunkt stellt.

Wir leben in einem Zeitalter, in dem Überarbeitung belohnt und gerühmt wird, und in einer Gesellschaft, die es für völlig normal hält, Vergnügen und Muße aufzuschieben und der Arbeit Priorität einzuräumen.

Kristen Butler

Nehme man sich Zeit für die Familie oder einen Urlaub, würden sich oft Stress- oder Schuldgefühle einstellen. Dieses Paradigma bringe schließlich völlig überlastete Workaholics hervor, die sich die meiste Zeit unwohl fühlen – und so erst recht nicht imstande sind, sich weiterzuentwickeln.

Inneres Zuhause

Wachstum und Komfort seien laut Butler keine Gegenspieler – im Gegenteil: „Im Grunde ist Komfort ja das, wonach wir jedes Mal streben, wenn wir ein Problem lösen. Als wir Menschen das Rad erfanden, strebten wir nach Komfort. Als wir aus Holz und Ziegelsteinen Gebäude schufen, in denen wir wohnen konnten, strebten wir nach Komfort.“

Demnach seien unsere Definition und Auffassung der Komfortzone falsch oder zumindest unvollständig: Echter, anhaltender Erfolg werde nicht außerhalb, sondern eigentlich innerhalb der Komfortzone erzielt. Denn sie ist der Raum, in dem wir uns sicher und wohl fühlen, unser inneres Zuhause sozusagen – und der Ort, der uns zu maximalem Selbstbewusstsein verhilft. Mit dem nötigen Selbstbewusstsein wiederum fällt es umso leichter, über uns selbst hinauszuwachsen.

Drei Lebenszonen

Um zu erkennen, wo die eigene Komfortzone liegt, gilt es, zunächst den Status Quo zu ermitteln. Dafür teilt Kristen Butler das Leben in drei Zonen ein: die Selbstzufriedenheitszone, die Überlebenszone und die Komfortzone. Die Selbstzufriedenheitszone beschreibt sie als einen bedrückenden Ort, geprägt von Trott und Unzufriedenheit: „Man hat Angst vor Veränderung und verharrt in Untätigkeit.“

Die Überlebenszone wiederum gleiche einem stürmischen Ozean – Stress, To-do-Listen und Überforderung würden uns von einer kurzen Hochphase zur nächsten treiben, nur um uns am Ende erschöpft und leer zurückzulassen. Dazwischen liegt die Komfortzone: Sie ist ein geschützter Ort, an dem Motivation, Freude und ein gesundes Gleichgewicht zwischen Weiterentwicklung und Selbstfürsorge Hand in Hand gehen.

Kein blinder Mut

Die Komfortzone sei dabei kein statischer Zustand, wie die Autorin betont, sondern vielmehr ein lebendiger Raum, der sich mit uns ausdehnt und wächst: „Wie die Jahresringe eines Baumes werden auch wir mit jeder neuen Schicht stärker, verwurzeln uns tiefer in der Erde und strecken unsere Zweige weiter gen Himmel.“

Um dieses Wachstum zu ermöglichen, brauche es jedoch nicht nur Wohlbehagen, sondern auch Mut. „Ohne Mut“, warnt Butler, „riskieren wir, in der Selbstzufriedenheitszone zu verharren und unsere Entwicklung zu ersticken.“ Gleichzeitig mahnt sie, dass uns blinder Mut ohne Wohlbehagen in die Überlebenszone drängen kann, wo wir vor lauter Aktionismus den Kontakt zu uns selbst verlieren. Der Schlüssel, so Butler, liege – wie so oft – in der richtigen Balance. So theoretisch, so gut. Doch was bedeutet das Ganze in der Praxis?

Fünf-Minuten-Lauf statt Marathon

Nehmen wir das Beispiel Laufen: Wer als Sportmuffel damit beginnen möchte, hat wahrscheinlich zunächst Schwierigkeiten, überhaupt einen Kilometer zu schaffen, ohne Schnappatmung zu bekommen. Eine Möglichkeit wäre es nun, einen ambitionierten Trainingsplan zu erstellen, um die eigene Leistung möglichst effizient und rasch zu verbessern. Gegebenenfalls nachlassender Motivation wird in diesem Szenario mit dem Zauberwort „Disziplin“ entgegengewirkt.

Einziger Haken: Lässt die Disziplin ebenfalls nach, scheitert der Vorsatz. Doch was wäre, wenn man sich von Vornherein vornähme, immer nur fünf Minuten zu laufen – ohne einkalkulierte Leistungssteigerung? Überwindung ist dafür kaum notwendig, und genau darin liegt der entscheidende Vorteil: Wir senken die Einstiegshürde und schaffen einen machbaren Anfang. Und so kurz das Training auch sein mag: Mit jedem Mal passt sich der Körper an, die Muskeln werden stärker, die Ausdauer verbessert sich, und was einst eine Herausforderung war, wird zur Routine.

Irgendwann wächst die Motivation vielleicht sogar von selbst, noch ein paar Minuten dranzuhängen, das Tempo zu steigern oder sich auf eine etwas anspruchsvollere Strecke zu wagen – und schon haben wir die Komfortzone ein Stück weit gedehnt, ganz sanft und ohne Überforderung.

Instant-Nudeln mit Gemüse

Dieser Ansatz lässt sich auf alle möglichen Lebensbereiche anwenden, seien es berufliche Herausforderungen oder Hobbys. Anstatt sich etwa von Vornherein die Führungsposition zum Ziel einer Karriere zu machen, kann es sinnvoller sein, zunächst einmal das Potenzial der aktuellen Rolle auszuschöpfen und herauszufinden, ob es überhaupt Freude bereitet, mehr Verantwortung zu übernehmen und kleinere Projekte zu leiten. Wer gerne Fertiggerichte isst, sich aber etwas gesünder ernähren möchte, muss nicht zwangsläufig gleich einen Diätplan aufstellen und Meal-Prepping betreiben – es kann auch schon reichen, ein bisschen frisches Gemüse in die Instant-Nudelsuppe zu schnippeln, um die Nährwerte aufzurüsten.

Gewöhnungseffekt

„Wenn wir aus unserer Komfortzone heraus leben, bewegen wir uns auf unsere Ziele zu, indem wir uns an sie gewöhnen“, so Kristen Butler. „So können wir dafür sorgen, dass sich nach und nach immer mehr Dinge angenehm und natürlich anfühlen – bis unsere Komfortzone schließlich alles umfasst, was wir uns wünschen.“ Auf diese Weise lernen wir auch, die Freude an der Entwicklung selbst (wieder) zu entdecken.

Denn wenn wir ehrlich sind, ist es im Endeffekt nicht der eine perfekte Sprint, der uns erfüllt, und nicht der makellose Abschluss eines Projekts, der uns nachhaltig zufriedenstellt. Vielmehr sind es die Momente, in denen wir feststellen, dass wir über uns selbst hinausgewachsen sind. Dass wir heute Dinge können, vor denen wir früher zurückgeschreckt sind – und dass wir mit jeder neuen Aufgabe stärker, flexibler und widerstandsfähiger geworden sind.

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Mehr über die Autorin dieses Beitrags:

Stellvertretende Chefredakteurin und Redakteurin für Style, Beauty und Gesundheit der TIROLERIN, Andrea Lichtfuss
© privat

Andrea Lichtfuss ist Stv. Chefredakteurin der TIROLERIN und für die Ressorts Beauty, Style und Gesundheit zuständig. Sie mag Parfums, Dackel und Fantasyromane. In ihrer Freizeit findet man sie vor der X-Box, beim Pub-Quiz oder im Drogeriemarkt.

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