Gedankenspiele: Mentalist Dino Dorado im Interview
Das Gedankenlesen ist keine Zauberei, sondern Aufmerksamkeit in ihrer reinsten Form. Der Mentalist Dino Dorado hat diese Kunst perfektioniert und zeigt auf, wie aus Wahrnehmung Wirklichkeit wird.
© Birgit Pichler
Eine runde Form, sechs oder neun. Es ist die Sechs, stimmt’s? Du lächelst so – eine strahlende Farbe. Deine Karte ist die gelbe Sechs, hab ich recht?“ Natürlich hat er das. Wie Dino Dorado jene Zahlen-Farb-Kombination erraten konnte, die ich gerade heimlich aus den UNO-Karten gefischt habe? Keine Ahnung – und genau das macht den gebürtigen Tiroler aus: das Spiel mit dem Unerklärbaren. Dino Dorado ist Mentalist, Menschenleser und Magier und zählt mit rund 300 Performances pro Jahr zu den gefragtesten Künstlern Europas. Ein Gespräch über Magie, Wahrnehmung und die Kunst, Gedanken Wirklichkeit werden zu lassen.
Das Wichtigste vorab: Muss ich aufpassen, was mir durch den Kopf geht – kannst du meine Gedanken lesen?
Dino Dorado: Das wird mir zumindest oft nachgesagt und im Prinzip trifft es auch zu. Nicht, weil ich übernatürliche Kräfte hätte, sondern weil ich gelernt habe, Menschen sehr genau wahrzunehmen. Was ich mache, ist eine Mischung aus Wahrnehmung, Intuition und Suggestion – im weiteren Sinn Psychologie, Kommunikation, Wahrscheinlichkeit und Statistik. Es geht darum, nonverbale Informationen aus Menschen herauszulesen. Mentalismus bedeutet für mich, mit Gedanken Realität zu erschaffen.

Wie bist du dazu gekommen?
Ich war acht Jahre alt, als mich das Thema gepackt hat. Während meine Schulfreunde in den Fußballverein gingen, saß ich in der Stadtbibliothek und habe alles gelesen, was ich über Grenzwissenschaften, Parapsychologie oder Telepathie in die Finger bekam. Ich fand diese Phänomene unglaublich faszinierend – Dinge, die man rational schwer erklären kann, die aber trotzdem existieren. Meine Eltern machten sich ein bisschen Sorgen, haben mein Interesse aber unterstützt und mich kurzerhand in einen Zauberklub geschickt. Das war mein erster Berührungspunkt mit Magie und rückblickend ein wichtiger Schritt, weil die Zauberkunst ja auch mit Wahrnehmung und Illusionen spielt.
Viele Kinder bekommen ja irgendwann mal einen Zauberkasten geschenkt – aber die wenigsten machen daraus gleich eine Karriere. Woher kam dieses tiefe Interesse?
Ich kann heute gar nicht sagen, ob diese Leidenschaft aus mir selbst kam oder ob da etwas „Größeres“ mitgespielt hat. Mich hat dieses Unerklärliche einfach angezogen – dieses Gefühl, dass da noch mehr ist als das, was man sieht. Später habe ich Bauingenieurwesen und Architektur studiert – das klingt erstmal ganz anders, ist es aber gar nicht. Im Ingenieurwesen geht es um Rationalität, Logik und Struktur, in der Architektur um Kreativität und Ausdruck. Auch als Mentalist kombiniere ich Analyse und Intuition, Struktur und Fantasie.
Gab es Menschen, die dich besonders geprägt haben?
Es gab damals in Innsbruck einen Pater, Pater Resch, der sich wissenschaftlich mit übersinnlichen Phänomenen beschäftigt hat – Telepathie, Levitation, all solche Dinge. Ich habe seine Vorträge verschlungen, er hat mich sehr inspiriert. Aber generell glaube ich: Jeder Mensch ist der Coach eines anderen. Ich lerne von jeder Begegnung – das ist ein ständiger Entwicklungsprozess.

Viele denken beim Mentalismus an übernatürliche Fähigkeiten. Wie viel davon ist angeborenes Talent und wie viel erlerntes Können?
Ich glaube, mit Ausdauervermögen und einem echten Interesse kann das jede:r lernen. Natürlich gibt es unterschiedliche Talente, so wie beim Musizieren. Manche haben ein Gefühl dafür, andere brauchen mehr Training. Aber Mentalismus basiert auf Fähigkeiten, die grundsätzlich jeder Mensch besitzt: Aufmerksamkeit, Empathie und Beobachtung.
Wie kann man sich deine Show vorstellen?
Ich arbeite viel interaktiv, hole Menschen auf die Bühne und lasse diejenigen mitmachen, die das auch wollen. Schließlich wäre es ja langweilig, wenn ich nur meine eigenen Gedanken lesen würde – das kann ja keiner überprüfen. Ich habe natürlich ein Repertoire an Techniken und Methoden, aber im Gegensatz zu den meisten Performer:innen lege ich mich selten im Voraus fest und weiß oft erst unmittelbar vor der Show, was ich tatsächlich machen werde. Ich spüre das Publikum, die Stimmung – und entscheide dann spontan, welche Elemente ich einsetze. Deshalb ist auch keine Vorstellung wie die andere.
Wie bereitest du dich dann vor, wenn du gar nicht genau weißt, was passieren wird?
Ich versuche, mich vor jeder Show innerlich zu zentrieren. Wenn es die Zeit zulässt, meditiere ich kurz, um den Kopf freizubekommen und offen zu sein für das, was kommt. In dem Moment, in dem ich auftrete, bin ich voll fokussiert, ganz wach, nehme jede Bewegung wahr, jede kleine Reaktion, jedes Zögern, jedes Lächeln. Das Publikum gibt mir unendlich viele Informationen, ohne ein Wort zu sagen. Und meine Aufgabe ist es, ganz verbunden zu sein mit dem, was im Raum passiert. Ich habe gelernt, Menschen sehr schnell und gut einzuschätzen.
Kannst du das im Alltag auch mal abschalten?
Wenn ich schlafe zum Beispiel, dann bin ich meistens wirklich „aus“. (lacht) Aber wenn ich privat unterwegs bin, kann ich mich auch ganz gut abschirmen. Das ist ja etwas sehr Menschliches: Niemand kann sich auf alles gleichzeitig konzentrieren. Trotzdem gehe ich gern mit offenen Augen durch die Welt und habe einfach Spaß daran, Leute zu beobachten und zu analysieren.
Gibt es Menschen, die sich leichter oder schwerer „lesen“ lassen?
Kleine Kinder zum Beispiel sind unglaublich schwierig zu „lesen“. Das liegt daran, dass sie noch nicht in den Strukturen denken, in denen wir Erwachsenen uns bewegen, und vieles auf einer anderen Ebene verstehen – oft nicht im rationalen Sinn, sondern intuitiv. Bis etwa zum siebten Lebensjahr befinden sie sich, bildlich gesprochen, in einer anderen Sphäre. Bei den Erwachsenen gibt es die einen, die sehr offen sind und ihre Emotionen deutlich zeigen; andere sind geübter darin, ihre Körpersprache zu kontrollieren oder etwas zu verbergen. Interessanterweise sind das oft Menschen, die selbst viel mit Kommunikation zu tun haben – etwa Schauspieler:innen oder Politiker:innen. Generell lassen sich aber bei Erwachsenen Muster erkennen, die verlässlich funktionieren.
Was sind das für Muster?
Die werden antrainiert: Schon als Kinder übernehmen wir Verhaltensmuster, weil wir sie ständig sehen und hören. Wenn du oft gesagt bekommst „Da springt man nicht drüber, man geht außen herum“, dann manifestiert sich das irgendwann als Realität – obwohl es objektiv keine ist. So entstehen psychologische Patterns, die eine Gesellschaft prägen und das Verhalten ihrer Mitglieder steuern. Wir lernen, wie man sich „richtig“ verhält, und übernehmen diese Strukturen unbewusst. Genau diese Muster mache ich mir in meiner Arbeit zunutze.
Wie reagieren die Menschen auf das, was du machst?
Manche sind total begeistert, andere eher vorsichtig oder skeptisch. Es gibt natürlich auch einige, die sich vor so etwas fürchten, weil sie nicht genau wissen, was passiert oder weil sie in der Vergangenheit negative Erfahrungen mit „Spiritualität“ gemacht haben. Mir ist wichtig, dass meine Auftritte nichts Bedrohliches haben. Es gibt ja Mentalist:innen, die sehr mystisch, fast unheimlich auftreten – das ist nicht mein Zugang. Ich möchte Menschen inspirieren und ihnen zeigen, dass sie selbst ihre Realität gestalten können. Mein Zugang funktioniert über zwei universelle Sprachen: Verwunderung und Humor. Beides verbindet Menschen, egal wo auf der Welt du bist.
Inwieweit musst du dich auf verschiedene Kulturen einstellen, wenn du international auftrittst?
Das spielt tatsächlich eine große Rolle. Jede Kultur hat ihre eigene Art, mit Unbekanntem oder Unerklärlichem umzugehen. In manchen Ländern reagieren die Menschen sehr spontan und emotional, in anderen eher analytisch und zurückhaltend. In Asien zum Beispiel spüre ich oft eine stärkere spirituelle Offenheit, während in Nordeuropa das Bedürfnis nach rationalem Verstehen größer ist. Am Ende geht es aber immer darum, eine Verbindung herzustellen – jenseits von Sprache oder Kultur. Wenn Menschen gemeinsam staunen, fällt jede Barriere. Das ist das Schönste an meinem Beruf.
Bekommst du auch Kritik zu hören?
Manche meinen, Mentalismus sei eine Täuschungskunst – als wolle ich Menschen austricksen. Für mich ist Mentalismus hingegen eine Kunst der Wahrnehmung. Ich arbeite mit Psychologie, Kommunikation, Körpersprache – Dingen, die uns alle betreffen. Ich zeige dem Publikum nur, was ohnehin da ist, und verstärke oder veranschauliche Prozesse, die im Alltag ständig passieren, ohne dass wir sie bewusst wahrnehmen. Mir geht es darum, inspirierende Momente zu schaffen. Am Ende meiner Shows gebe ich den Leuten oft auch kleine „mentale Geschenke“ mit – einfache Tools, die sie im Alltag nutzen können. Zum Beispiel das sogenannte Ankern: Wenn du dir in einem Moment des Glücks bewusst eine kleine Geste merkst, etwa das Zusammendrücken von Daumen und Zeigefinger, kannst du dich später durch dieselbe Bewegung wieder in dieses Gefühl zurückversetzen.
Welchen Tipp hast du noch für uns, um ein bisschen mehr wie ein:e Mentalist:in zu denken?
Bewusster wahrzunehmen, was wir denken und sagen. Worte sind unglaublich machtvoll – sie formen unsere Realität. Was du denkst und aussprichst, manifestiert sich bis zu einem gewissen Grad. Deshalb versuche ich, sehr achtsam mit Sprache umzugehen. Es geht nicht darum, Gedanken zu kontrollieren, sondern sie bewusst zu lenken. Wenn du das verinnerlichst, erkennst du, dass du selbst Schöpfer:in deiner Wirklichkeit bist. Oder, wie ich es gerne sage: ABRACADABRA – I create as I speak.
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Über die Autorin:

Leonie Werus betreut die Ressorts Genuss, Wohnen, Freizeit und Gesundheit. Sie ist ein echter Workhaholic und weiß jede Minute gut für sich zu nutzen. Mit ihren Airfryer, liebevoll Fritti genannt, probiert sie gerne neue Rezepte und versucht nebenbei das TIROLERIN-Team zum Sport zu motivieren – meist leider vergeblich.