Deswegen sollten wir mehr über Fehlgeburten sprechen
Eine Betroffene und eine Gynäkologin erzählen
© Pexels/Karolina Grabowska
Ich kann leider keinen Herzschlag mehr finden“, sagte Christina Sternigs Gynäkologin eines Tages bei einer Schwangerschaftsroutineuntersuchung vor fünf Jahren. Worte, die von einer Sekunde auf die andere alles veränderten. Der „Abgang“ müsse mit Tabletten eingeleitet werden – es sei das Beste, das so schnell wie möglich zu tun, hieß es. Zeit, um die schockierende Nachricht zu verarbeiten, blieb keine.
Christina wurde in die Tagesklinik aufgenommen und kam in ein Mehrbettzimmer mit anderen Frauen, die sich in einer ähnlichen Situation befanden. „Die Situation dort war extrem belastend. Es gab keine psychologische Betreuung, kein Informationsblatt – nur Stille. Man wurde mit den Wehen und der Geburt weitgehend sich selbst überlassen“, erinnert sie sich.
Verbesserte Bedingungen
Inzwischen habe sich die Situation an den Krankenhäusern glücklicherweise deutlich gebessert, wie Gynäkologin Jutta Fischer-Colbrie erzählt: „Es gibt die Möglichkeit zur ‚stillen Geburt‘, die den Hebammen und Ärzt:innen sehr wichtig ist. Zudem wird den betroffenen Frauen psychologische Betreuung angeboten. Und es wird ihnen mehr Zeit gelassen, sich selber zu entscheiden, ob sie zuwarten möchten oder sich für eine rasche, eingeleitete Beendigung der gestörten Schwangerschaft entscheiden. Es ist und bleibt ein schwerer Weg für jede betroffene Frau, aber es gibt viel mehr Empathie vom medizinischen Personal als früher.“
Zwölf-Wochen-Regel
Christina nennt es heute eine „kleine Geburt“, wenn sie von ihrem Erlebnis erzählt. Und das tut sie ganz offen – nicht nur um das eigene Trauma zu verarbeiten, sondern auch, um andere zu bestärken. Denn sie weiß, dass man als Betroffene mit seiner Trauer oft allein dasteht: „Fehlgeburten sind ein Thema, das viele Menschen an die Grenzen ihrer Komfortzone bringt.
Natürlich gibt es angenehmere Themen als Tod und Trauer, doch gehören diese zum Leben dazu. Hinzu kommt die gesellschaftlich etablierte Zwölf-Wochen-Regel – erst nach dieser Zeit sollte man über eine Schwangerschaft sprechen, da in den ersten Wochen ‚alles passieren kann‘.“ Doch was, wenn eine Frau entscheidet, die freudige Botschaft schon früher mit der Welt zu teilen?
Keine Anzeigepflicht
Rund 15 Prozent aller Schwangerschaften enden in einer Fehlgeburt – so lautet zumindest die bekannte klinische Statistik, denn eine offizielle Anzeigepflicht besteht in Österreich nicht. Manchmal kommt es während der Schwangerschaft zu einer starken Blutung und im Zuge deren zu einem Verlust des Kindes, in anderen Fällen wird – wie bei Christina – bei der gynäkologischen Untersuchung ein fehlender Herzschlag festgestellt.
Einen Anspruch auf Mutterschutz oder eine entsprechende Nachbetreuung, sei es durch eine Hebamme oder eine:n Psycholog:in, hat man als Betroffene nach einer Fehlgeburt nicht. Wer ein paar Tage Krankenstand in Anspruch nehmen möchte, ist auf die Kooperation des:der Arbeitgeber:in angewiesen.
„Da war ja noch nichts.“
Erschwerend kommt hinzu, dass Frauen und deren Partner:innen der Verlust und die damit verbundene Trauer häufig abgesprochen wird: „Aussagen wie ‚Da war ja noch nichts‘, ‚Ihr könnt es ja nochmal versuchen‘ oder ‚Zumindest wisst ihr, dass ihr schwanger werden könnt‘ verkennen die tiefe emotionale Belastung“, sagt Christina. „Betroffene wissen all das selbst, doch mindert es ihre Trauer keineswegs. Im Gegenteil: Solche Bemerkungen können Zweifel und Selbstvorwürfe auslösen und das Gefühl verstärken, dass mit ihnen etwas nicht stimmt.“ Sie fände es wichtig, die Trauer anderer zu respektieren, selbst wenn man sie persönlich vielleicht nicht nachempfinden kann.
Risikofaktoren
Die genaue Ursache einer Fehlgeburt bleibt in den meisten Fällen ungeklärt. Allerdings gibt es Risikofaktoren – etwa Virusinfekte, chronische Erkrankungen der Schilddrüse, Diabetes mellitus, Endometriose, eine Gelbkörperschwäche, Gebärmutterfehlbildungen oder das Alter der Mutter.
Die Risikofaktoren liegen aber keineswegs, wie oft gemutmaßt, nur bei der Frau: „Auch männliche Subfertilität, also die eingeschränkte Zeugungsfähigkeit des Mannes, kann ein Risiko darstellen“, erklärt Jutta Fischer-Colbrie. Erst nach drei oder mehr Fehlgeburten sei das Risiko für weitere Aborte um rund 40 Prozent erhöht. Gerade deshalb sei es nach einer Fehlgeburt wichtig, Schuldzuweisungen zu vermeiden – vor allem an sich selbst: „Wichtig ist es, sich zu erholen und es dann nochmals zu probieren. Bei vielen Frauen geht beim zweiten Mal alles gut“, so Fischer-Colbrie weiter.
Trauer zulassen
In der Zeit nach der Fehlgeburt kann es Betroffenen helfen, offen über den Verlust zu sprechen und sich gegebenenfalls psychologische Unterstützung zu holen. „Nachdem ich dieses Erlebnis nach außen getragen habe, sind viele Bekannte und Freundinnen auf mich zugekommen und haben gesagt: ‚Ich habe das auch erlebt, und ich finde es toll, dass du darüber sprichst‘“, erzählt Christina. „Auch das gemeinsame Trauern mit meinem Partner hat gut getan und uns noch tiefer miteinander verbunden.“
Darüber hinaus habe es ihr geholfen, Erinnerungen zu schaffen – beispielsweise in Form einer kleinen Kiste, in die man Ultraschallbilder oder den Schwangerschaftstest legt. Was zudem viele nicht wissen: In Österreich gibt es ein Bestattungsrecht; viele Kliniken bieten regelmäßig Beisetzungen für „Sternenkinder“ an und ermöglichen so einen Ort zum Trauern.
Nach vorne schauen
Für die Zukunft wünscht sich Christina mehr gesellschaftliche Sensibilität, Toleranz und Verständnis in Bezug auf Fehlgeburten – und eine bessere Informationsaufbereitung: „Dieses Thema betrifft uns alle, sei es direkt oder indirekt durch eine Verwandte oder Bekannte, und sollte daher umfassender und zugänglicher behandelt werden.“ Die Verarbeitung dieses Erlebnisses habe sie viel Kraft gekostet, aber auch innerlich gestärkt. Die Liebe, die sie für ihr „Sternchen“ empfindet, lässt die unangenehmen Erinnerungen mit der Zeit etwas verblassen. Mittlerweile ist Christina bei sich angekommen – nicht nur als Autorin und Unternehmerin, sondern auch als Mutter von zwei Mädchen.
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MEHR ÜBER DIE AUTORIN DIESES BEITRAGS:
Andrea Lichtfuss ist Stv. Chefredakteurin der TIROLERIN und für die Ressorts Beauty, Style und Gesundheit zuständig. Sie mag Parfums, Dackel und Fantasyromane. In ihrer Freizeit findet man sie vor der X-Box, beim Pub-Quiz oder im Drogeriemarkt.