
Was wir von Paaren lernen können, die ein Leben lang zusammenbleiben
Liebe ist ein Tunwort: Im Gespräch mit Paartherapeutin Verena Bonora-Grimm
© Pexels/Magda Ehlers
Monogamie ist ein kulturelles Konstrukt. Romantik ein Produkt der Literatur. Und die große Liebe? Vielleicht die erfolgreichste Utopie der Menschheitsgeschichte. Wer im Jahr 2025 ein ernsthaftes Gespräch über Beziehungen führen will, wird schnell ernüchtert. Und es stimmt ja auch: Die Hälfte aller Ehen wird geschieden, Dating-Apps liefern in Sekunden neue Optionen und der Begriff „Situationship“ hat sich bei Mittzwanzigern längst als gängige Beziehungsform etabliert.
Und doch gibt es sie. Diese Paare, die nach 20, 40 oder gar 50 Jahren noch gemeinsam lachen, diskutieren, wachsen. Was ist ihr Geheimnis? Verena Bonora-Grimm ist erfahrene Paartherapeutin – und überzeugt: Liebe ist kein Zustand, sondern ein aktiver Prozess. Wir haben die Expertin zum Gespräch getroffen.

In ihrem jüngst erschienenen Werk „Entromantisiert euch!“ schreibt die Autorin Beatrice Frasl, Verliebtheit sei eine Mischung aus Zwangsstörung und Suchterkrankung. Was sagen Sie dazu?
Verena Bonora-Grimm: Ich habe das Buch noch nicht gelesen, aber ja – in der Verliebtheitsphase wird ein Cocktail an Botenstoffen ausgeschüttet: Serotonin, Dopamin, Oxytocin. Ein verliebtes Gehirn ist tatsächlich wie im Drogenrausch. Aber zu sagen, Verliebtheit sei wie eine Zwangsstörung oder Suchterkrankung, das finde ich verkürzt. Dabei wird ausgeklammert, dass Verliebtheit auch ein Entwicklungspotenzial hat. Ich sehe Verliebtheit wie ein Feuerwerk. Das knallt, das nimmt uns mit – und die Liebe ist dann das Lagerfeuer, das man pflegen muss.
Waren Steinzeitmenschen auch schon verliebt ineinander?
Ja, evolutionsbiologisch gesehen war Bindung schon bei unseren Vorfahren überlebenswichtig. Der Mensch ist ein soziales Wesen, wir brauchen Verbindungen. Verliebtheit ist also nicht nur ein neurochemischer Zustand, sie ist ein Startpunkt für Nähe und Vertrauen.
Was sind aus Ihrer Sicht die häufigsten Gründe dafür, dass Beziehungen scheitern?
Ich glaube, ein Hauptgrund für Trennungen ist, dass wir nicht lernen, wie wir Konflikte konstruktiv lösen. Wir sehen unsere Eltern zwar oft streiten, aber selten, wie sie sich wieder versöhnen. Konflikte entstehen durch Verletzungen und die haben oft tiefe emotionale Wurzeln. Und genau das erlebe ich in der Praxis oft: Menschen fühlen sich nicht gesehen, nicht gehört – das ist der eigentliche Grund für die Trennung. Es geht selten darum, wer Recht hat, sondern um die Gefühle dahinter. Wenn Paare lernen, diese Gefühle zu erkennen und die emotionalen Beweggründe des anderen zu verstehen, können sie daran wachsen.

Bei einem Vertrauensbruch wie Untreue ist das wahrscheinlich nicht so einfach.
Ja, bei Untreue ist der Vertrauensbruch natürlich eine große Verletzung. Aber was wirklich wehtut, ist oft das Gefühl: „Ich werde nicht gesehen in meinen Bedürfnissen.“ Und manchmal war genau dieses Gefühl der Auslöser dafür, dass sich jemand außerhalb der Beziehung nach Nähe, nach einem neuen „Feuerwerk“ sehnt. Viele trauen sich nicht mehr, ihre Wünsche und Bedürfnisse zu zeigen – aus Angst vor Ablehnung oder Kritik. Also schweigen sie. Und genau dieses Schweigen ist oft schlimmer als der Streit selbst. Gerade bei jungen Eltern erlebe ich das häufig: Beide sind erschöpft, emotional ausgelaugt. Man spürt, man bekommt zu wenig – und übersieht dabei, dass es dem Gegenüber genauso geht. Wenn dann noch der ganze Mental Load und die Care-Arbeit dazukommen, entsteht Distanz. Man hat kaum noch Zeit füreinander, verliert sich aus den Augen – und irgendwann das Gefühl: „Da ist nichts mehr für mich.“
Dann streitet man sich über den Abwasch, obwohl es eigentlich um etwas anderes geht?
Ganz genau. Es geht vordergründig um den Haushalt – aber eigentlich steckt dahinter die Frage: Bist du für mich da? Siehst du mich? Das ist der zentrale Punkt. Wenn ich das Gefühl habe, mein Gegenüber ist sicher für mich, dann kann ich mich zeigen. Sonst nicht. Was ich auch oft beobachte – unabhängig von der Art der Beziehung – ist, dass Menschen sich im Laufe der Zeit selbst verlieren. In der Sexualität, in den eigenen Hobbys, im Lebensentwurf. Anfangs lebt man vielleicht noch das Eigene, aber mit der Zeit zieht man sich zurück oder wird vom anderen zurückgedrängt. Das führt zu Konflikten und schließlich dazu, dass man sich selbst nicht mehr spürt. Mit der Selbstverleugnung schwindet oft auch die Leidenschaft, die Lust – und irgendwann sogar das Lebensfeuer.
Woran liegt es, dass dieses Interesse mit der Zeit verloren geht?
Mit der Zeit glaubt man, den anderen schon in- und auswendig zu kennen – und hört auf, wirklich nachzufragen. Man verliert die Neugier: „Wie willst du das? Was sind deine Wünsche?“ Diese Fragen verschwinden aus dem Alltag und damit auch das Interesse füreinander.
… und was machen Paare anders, die lange zusammenbleiben?
Sie schaffen es, neugierig aufeinander zu bleiben – und vor allem: Sie können Konflikte reparieren. Ich vergleiche Liebe gern mit einem großen Schiffstau. Wird es oft belastet, entstehen auch beim stärksten Tau irgendwann Risse. Paare, die sich nach einem Streit fragen: „Was ist da schiefgelaufen?“ und „Wie können wir den Riss gemeinsam reparieren?“, führen meist erfüllendere Beziehungen. Es geht nicht darum, wer recht hat, sondern darum, wie man sich wieder begegnet und sieht.
Sandra Strele & Martin Strele, seit 26 Jahren ein Paar:
„Uns verbinden ein ähnlicher Humor und das Wissen, dass wir auch in schwierigen Zeiten immer eine Einheit sind. Wir hatten nie einen wirklichen Streit und sind stets respektvoll miteinander umgegangen. Seit wir gemeinsam ein Business aufbauen, hat sich unsere Bindung noch einmal vertieft. Unser Tipp: Man sollte sich selbst nicht wichtiger nehmen als das Gemeinsame.“

Was raten Sie Paaren, die merken, dass sie sich immer wieder über dieselben Dinge streiten?
Eine Paartherapie zu machen (lacht). Nein, im Ernst. Therapie ist auch ein Ort der Entwicklung. Man kann Neues lernen, sich coachen lassen, herausfinden, was sich besser anfühlt. Mein Berufskollege Eric Hegmann vergleicht Beziehungen beziehungsweise Konflikte mit Schwimmen: Wer Brustschwimmen kann, kommt irgendwie voran – aber wer lernen will, wie man effizienter durchs Wasser kommt, lernt Kraulen. Und so sehe ich Therapie auch. Sie hilft dabei, leichter durch Konflikte zu kommen, besser in Beziehung zu bleiben, Neues zu entdecken und zu wachsen.
Und, wie Hegmann sagt: Liebe ist ein Tunwort. Man muss aktiv etwas dafür tun, dann kann daraus etwas Größeres entstehen.
Gibt es etwas, das man als Paar üben kann, um mehr Verbindung zu schaffen?
Zwei ganz einfache Fragen können sehr viel bewirken: „Woran habe ich gesehen, dass mein:e Partner:in mich liebt?“ und „Womit habe ich selbst gezeigt, dass er oder sie mir wichtig ist?“ Es geht darum, das Positive wieder wahrzunehmen. Und bewusst Zeit füreinander zu schaffen. Das muss kein Wochenende zu zweit sein – oft reicht ein gemeinsamer Kaffee mit der Frage: „Wie geht es dir?“ Und dann wirklich zuhören. Nicht gleich mit Lösungen kommen, sondern da sein, mitfühlen, auch aushalten, wenn es dem anderen nicht gut geht. Letztens habe ich einem Paar dazu geraten, einen wöchentlichen Beziehungs-Jour-fixe einzurichten. Sich etwas vorzunehmen, ist nämlich das eine – es wirklich zu tun, etwas ganz anderes. Deshalb finde ich es so wichtig, eine feste Regelmäßigkeit zu etablieren. Zum Beispiel: Man setzt sich einmal pro Woche zusammen, immer am Sonntag. Oder in einer gemeinsamen Mittagspause.
Was, wenn man merkt, dass das sexuelle Interesse nachlässt?
Zuerst einmal: Es ist völlig normal, dass das Begehren mit der Zeit nachlässt. Alltag, Kinder, Stress – das verändert uns, und die Leidenschaft wird leiser. Aber sie lässt sich wieder entfachen. Eine einfache Übung ist, den:die andere:n anzuschauen, als würde man ihn oder sie zum ersten Mal sehen. Das Fremde in der Verliebtheit ist ja oft das Reizvolle. Wenn ich mein Gegenüber wieder wie eine leere Leinwand betrachte, kann Neues entstehen. Lust beginnt aber auch bei der Selbstwahrnehmung und -befriedigung: Was brauche ich? Was gefällt mir? Sich über Wünsche auszutauschen, kann helfen – auch mit Unterstützung, etwa durch Podcasts wie „Ist das normal?“ von Zeit Online.
Wichtig ist, sich immer wieder mit Neugier zu begegnen – auch im Schlafzimmer. Nicht automatisch zu glauben, man weiß schon, was der andere mag. Sondern fragen, spüren, präsent sein.
Manche sagen, bei Paaren, die nie streiten, läuft was falsch. Stimmen Sie dem zu?
Ja, da ist schon was dran. Paare, die sich lieben, streiten auch. Und Konflikte gehören zu jeder Beziehung, sie sind nichts Schlimmes. Unsere Gesellschaft hat oft Angst vor Streit – und deshalb lernen wir auch nicht, gut damit umzugehen. Dabei sind alle Gefühle okay: Wut, Trauer, Angst – sie gehören zum Leben. Sie machen uns lebendig. Aber natürlich gibt es auch zu viel davon und es gibt Grenzen; niemand darf psychisch oder körperlich verletzt werden.
Was hilft in einer akuten Streitsituation?
Im Streit ist unser Nervensystem im Alarmmodus – da geht es ums Überleben, nicht ums Verstehen. Deshalb rate ich: Erst runterkommen, dann reden. Tief durchatmen, Füße spüren, kurz rausgehen. Und wenn es doch eskaliert: 20 Minuten Pause. Danach mit klarem Kopf nochmal fragen: Was ist da eigentlich passiert? Wo haben wir uns verpasst? Man darf nicht vergessen: Ein Großteil des Stresses in Beziehungen – rund 80 Prozent – kommt von außen. Job, Krankheiten, Familie, dauernd negative Nachrichten, finanzielle Unsicherheiten. Das wirkt auf uns ein, auch wenn keiner etwas dafür kann – und es beeinflusst natürlich die Beziehung. Umso wichtiger ist es, in Verbindung zu bleiben. Sich zu zeigen. Einfach nach Hause zu kommen und sagen zu können: „Heute war ein richtig schlechter Tag.“ Und dann darf der:die andere fragen: „Was brauchst du gerade? Eine Umarmung? Zuhören? Einen Ratschlag?“ Dieses Sich-verletzlich-Zeigen fehlt oft – dabei ist genau das der Weg zu echter Nähe. Viele glauben noch immer, nur die Starken setzen sich durch. Aber das stimmt nicht. Wer sich zeigt, schafft Verbindung.
Reinhard Kapferer & Vilma Kapferer, seit 38 Jahren ein Paar:
„Ein bisschen Verliebtheit darf über die Jahre nie verloren gehen und sollte durch liebevolle Gesten immer wieder zum Ausdruck kommen. Gemeinsame Interessen und Ziele, etwa der Wunsch nach Kindern und der Wille, gute Eltern zu sein, sind ebenso entscheidend wie Vertrauen und die Fähigkeit, Fehler zu verzeihen – aber nicht zu vergessen.“

Gibt es überhaupt Beziehungen ohne Verletzungen?
Nein, ich denke nicht. Jede Beziehung erlebt Krisen, Verletzungen, vielleicht sogar Vertrauensbrüche. Aber genau darin liegt auch die Chance: Wenn beide hinschauen, Verantwortung übernehmen und sich fragen, „Was brauchst du, damit du mir wieder vertrauen kannst?“, dann kann etwas Tieferes entstehen als zuvor.
Glauben Sie, viele Paare geben zu früh auf?
Ich glaube, viele hören zu früh auf zu investieren. Wir wachsen mit der Vorstellung auf, dass Beziehungen einfach da sind, dass sie „laufen“. Aber Beziehungen brauchen Pflege. Zeit, Aufmerksamkeit, die Bereitschaft, sich auseinanderzusetzen. Mein Mann und ich gehen selbst in Paartherapie – nicht, weil etwas kaputt ist, sondern weil wir uns diese Zeit bewusst nehmen. Für uns ist das ein Luxus: anderthalb Stunden, in denen wir hinschauen, was wir gerade brauchen, und wie wir uns gegenseitig unterstützen können.
Viele würden trotzdem sagen: „Ach was, Therapie, das brauchen wir doch nicht.“
Mein Mann sagt immer: Die Therapie ist kein Notfallkoffer, sondern ein Werkzeugkasten. Man kann an der eigenen Beziehungskompetenz genauso arbeiten wie an jeder anderen Fähigkeit. Und es ist ja genau das Nicht-Hinschauen, das Beziehungen wirklich scheitern lässt. Metaphorisch gesprochen: Wenn Probleme immer wieder unter den Teppich gekehrt werden, wird der Haufen irgendwann so hoch, dass man unweigerlich darüber stolpert. Es ist besser, regelmäßig einen „emotionalen Frühjahrsputz“ zu machen. Nicht erst, wenn es kracht – sondern als Teil eines aktiven Miteinanders.
Monika Mayr & Markus Mayr, seit 39 Jahren ein Paar:
„Was uns verbindet, sind vor allem unsere Töchter und Enkelkinder, gemeinsame Ziele sowie Erlebnisse. In schweren Zeiten helfen uns offene Gespräche, gegenseitiges Vertrauen, verlässliche Freundschaften – und eine gute Portion Humor. Als Paar nehmen wir uns außerdem bewusst Zeit füreinander. Denn: Wir haben noch viele Pläne!“

Psychotherapie und EFT-Paartherapie | Innsbruck Psychotherapie Grimm
Das könnte dich auch interessieren:
Miete teilen als Paar – gute Lösung?
Schluss mit der heimlichen Mama-Rolle in der Beziehung
7 Tipps, wie du nach einem Streit wieder zueinander findest
Mehr über die Autorin dieses Beitrags:

Andrea Lichtfuss ist Chefredakteurin der TIROLERIN und für die Ressorts Beauty und Style zuständig. Sie mag Parfums, Dackel und Fantasyromane. In ihrer Freizeit findet man sie vor der X-Box, beim Pub-Quiz oder im Drogeriemarkt.