Erika Pluhar

Erika Pluhar im Interview: Warum „Trotzdem“ ihr Lebenswort ist

Ein Gespräch über ihr neuestes Buch „Spät aber doch“.

8 Min.

© Lukas Beck

Man braucht sie eigentlich nicht vorzustellen. Denn Erika Pluhar, die einstige Burgschauspielerin, erfolgreiche Sängerin und mit dem Ehrenpreis für Toleranz in Denken und Handeln ausgezeichnete Schriftstellerin, ist längst österreichisches Kulturgut. Ein Gespräch über ihr neuestes Buch „Spät aber doch“ und über ihr Lebenswort „Trotzdem“, welches ihr nach bitteren Verlusten Hoffnung und Mut zum Weitermachen gab.

„Spät, aber doch“: Das neue Buch von Erika Pluhar

Es ist die junge Liebesgeschichte zweier alt gewordener Menschen. Heinrich war während der Tanzschulzeit Luisas erste Liebe. Nach einer Einladung in die „sturmfreie Bude“ seines Elternhauses läuft sie aus Schüchternheit und Angst vor körperlicher Annäherung weg – und verliert ihn aus den Augen. Nach 70 Jahren trifft sie ihn zufällig auf der Straße wieder. Die beiden 86-Jährigen verabreden ein Wiedersehen, auf das viele weitere folgen. Eine Reise durch die Höhen und Tiefen beider getrennt voneinander gelebter Leben beginnt …

Bei einem Tee in Luisas gemütlichen Salon entgegnet Heinrich: „Du bist nicht zu alt“. Warum ist in unserer Gesellschaft das Wort „alt“ zum Unwort geworden, haben wir verlernt, dem Alter eine Würde zu geben?

Genau das ist es! Darum sag ich auch immer wieder: ich bin eine alte Frau. Was ja nicht automatisch bedeutet, dass man hinfällig und nicht mehr vorhanden ist. Wenn man körperlich und geistig noch in Ordnung ist, dann ist Alter einfach ein menschlicher Zustand. Ich betone das also sehr und bekämpfe dieses Entwerten des Alters, genauso wie dieses grauenvolle Operieren. Die Leute schauen ja mit ihren aufgespritzten Lippen und reglosen Gesichtern dadurch nicht jünger aus, sondern grauslich. Bei jedem meiner Auftritte, sei es eine Lesung oder ein Konzert, sag ich jedes Mal mein Alter, nämlich 86, um eben diese Würde des Alters zurückzuholen und zu bewahren. Ich bekomme da auch ein sehr gutes Echo, denn meine Auftritte sind dicht besucht, was mich rührt und ehrt – trotz meines Alters.

Einmal redet sich Luisa in Rage und lehnt sich dagegen auf, dass alles nur ein „noch“ ist…

Dieses „noch“ ist natürlich ein ständiger Umgang mit der Endlichkeit. Ich sag ja sehr oft, unser Menschenleben ist eine Zumutung, wobei in diesem Wort der Begriff „Mut“ steckt, denn wir kommen auf die Welt und das Einzige, was uns sicher ist, dass wir wieder gehen müssen. Dieses Bewusstsein hat alle Religionen erschaffen, weil der Mensch ja irgendwo Halt sucht. Es macht also keinen Sinn, sich gegen die Endlichkeit aufzulehnen. Bette Davis hat schon den Nagel auf den Kopf getroffen, als sie meinte: „Das Altwerden ist nichts für Feiglinge“.

Als sich Heinz und Luisa langsam näherkommen, meint er, es wäre schön, wenn eine späte Liebe daraus würde, worauf Luisa sagt: „Heinz, ich kann nicht mehr lieben“. 

Das ganze Verlieben ist ja eigentlich nicht lieben, aber es kann daraus Liebe werden. So habe ich es erlebt. Ich hab mich mehrmals verliebt, aber wenn sich das Verlieben wandelt und zu einer Liebe wird, dann ist das ganz was anderes. Dann hat man diesen Menschen im Herzen. Ich muss gestehen, dass ich die Männer, die ich liebte, nie mit Hass oder Argwohn oder aus irgendeinem Grund aus meinem Herzen entfernen musste. Man besitzt nur nicht den anderen Menschen, das ist ein großer Unterschied. Die wirkliche Liebe ist nicht die, die den anderen haben will, sondern die, die den anderen achtet und liebt, wie er ist, und ihm Freiheit gibt. Wenn die Luisa in meinem Buch sagt, sie kann nicht mehr lieben, dann sagt sie das noch bevor sie sich dazu bekennt, ihren Heinz zu lieben. Das ist ihre Furcht, sich einzulassen. 

Erika Pluhar
© Katharina Froeschl-Roßboth

Es geht auch um das Wort Vergeblichkeit. Darin steckt das Wort vergeblich, aber auch vergeben. Ist dies ein Hinweis auf die durchlebten Lieben zu Ihren Ehemännern?

Ja, ich hatte natürlich zwei besonders auffällige Ehemänner, wo ich mir nachher oft selber gedacht habe „Erika, da hast dir grad die zwei ausgesucht“.  Aber als ich sie kennenlernte, waren sie ja noch nicht die, die sie später wurden. (Anmerkung: Erika Pluhar war von 1962 – 1967 mit Udo Proksch, und von 1970 – 1984 mit André Heller verheiratet). Es waren beides Menschen, die sehr besonders waren, wie Udo Proksch, der Vater meiner Tochter Anna, oder besonders sind, wie der Heller. Ich bin ja mit dem Heller in guter Freundschaft verbunden.

Aber in meinem Leben gab es nicht nur die Männer meiner zwei Ehen. Ich hab schon mehrmals geliebt, wie den Antonio D‘Almeida, der immer noch in Portugal lebt, mit dem ich musikalisch sehr verbunden war, der viele meiner Lieder komponiert hat. Also ich bin natürlich ein absolutes Hetero-Geschöpf. Als ich mal in meinem Leben kurz in den Umkreis von Alice Schwarzer geraten war, gab es sehr viele Frauen, kluge, sympathische Frauen, die mich sehr begehrt und gewollt haben. Aber in meinem Leben – wo es doch heute so viele Diversitäten gibt – gabs das nicht. Die Dualität, dass eben der Mann etwas anderes ist, hat schon mein Leben sehr bestimmt. Dass man jedoch in meinem Alter viel mit Verlust zu tun hat, ist schon ein betrüblicher, bedrückender Aspekt.

Sie schreiben auch von der Scheu vor einer körperlichen Begegnung. Kehrt, wie die Unsicherheit eines jungen Mädchens, die Scham über einen altgewordenen Körper wieder zurück?

Ja. Ich meine, es ist natürlich ganz klar, dass man sich Körperlichkeit überlegt, wenn man so alt ist. Das macht ja in meinem Buch auch die Fiktion aus. Ich bin 1939 geboren, habe den Krieg, die Bombardierung Wiens wirklich traumatisch erlebt. Deswegen ist unsere Zeit, in der ja nur mehr über Krieg gesprochen wird, für mich so schrecklich. Ich muss es mir ferngehalten, wie nach dem Krieg.

Damals habe ich konstatiert, dass, wenn ich lese, einen Film sehe oder ins Theater gehe, es neben der Realität, die so unverrückbar und schrecklich sein kann, für mich auch ein anderes Leben geben kann, wie in meiner Schauspielerei, meinen Büchern und Liedern. Ich habe immer sehr gerne erfunden. Wenn man mich oft gefragt hat, ob das alles autobiografisch ist, sage ich nein, es ist aber geschrieben mit der Kompetenz meiner eigenen Erfahrungen. Ich wollte ja eigentlich mein Buch „Spät aber doch“ eine „mögliche Fiktion“ nennen …

Dennoch kommt der Tod Ihrer Tochter Anna in allen Büchern vor. Hier sagt Luisa „im Gespräch ist sie mir nahe“. Muss man in den tiefen Grund des Schmerzens tauchen, um wieder auftauchen zu können?

Ja, man muss die Trauer wirklich ausleben, bis ins Tiefste. Aber ich muss gestehen, der Tod eines Kindes ist ein Einschnitt. Ja, ich bin irgendwie mitgestorben – alles danach war anders. Ich musste weiterleben und habe auch weitergelebt. Aber diese Verwundung ist trotzdem da, man lebt mit der Narbe. Anna ist immer da, sie ist in meinem Herzen, dieser Verlust ist nie gänzlich zu heilen. Ich habe meinen adoptierten Enkelsohn Ignaz, der nun auch schon über 40 Jahre ist, und meinen vierjährigen Urenkel Merlin. Wir leben Haus an Haus. Ich bin ein Mensch, der immer gern allein gelebt hat, aber vereinsamen sollte man natürlich nicht. 

Luisa schreibt in ihr Tagebuch: „Ich will nur nicht übertreiben, wie ich es mein Leben lang getan habe. Immer hast du der Sehnsucht zu viel Raum gegeben“. Und dann schreibt Luisa wie selbstverständlich das Wort „Glück“.

Glück hab ich für mich als einen Zustand, den es zu erreichen gilt, ausgeschaltet. Die Menschen wollen ja immer glücklich sein. Ich glaube nicht an Glück, ich bin eine Verfechterin der Freude. Aber es gibt glückliche Momente …

Erika Pluhar
© Christina Häusler

Warum „Trotzdem“ ihr Lebenswort ist

Sie haben Viktor Frankls „trotzdem“ zu Ihrem Lebenswort gemacht. Als Holocaust-Überlebender schrieb er: „Das Vergangensein ist die sicherste Form des Seins überhaupt.“ 

Also, man muss schon vermeiden, zu sehr in der Vergangenheit zu leben. Ich weiß, wie meine Eltern bestürzt waren über unsere Hippie-Zeit, über die Jazzmusik, die haben sich gefragt, um Gottes Willen, was ist denn da los? Was aber der Frankl meint, und wie ich es verstehe, geht es um die Frage des Seins. Was sind wir im Rahmen des Universums, was ist der Sinn unseres Daseins? Es ist das Sein. Dieses Sein kann man natürlich im Vergangensein überblicken, aber trotzdem möchte ich die jungen Menschen nicht belehren. 

Sie schreiben Ihr Tagebuch mit Tinte und Feder, leben sehr überzeugt analog …

Ja, denn ich sehe im digitalen Wahnsinn, in der KI, den Sozialen Medien, der Ökologie und in den Kriegen eine große Gefährdung für die Menschheit. Wir leben in einer sehr, sehr gefährlichen Zeit. Für mich wird es sich in den paar Jahre, die ich noch lebe, irgendwie ausgehen. Für meinen Urenkel wünsche ich mir aber eine menschenwürdige Welt, in der es lebenswert zu leben ist. Ich hoffe, dass der Mensch an sich das gut schafft. Ich hab ja dieses „trotzdem“ für mich entwickelt, bevor ich es von Frankl so gut kennengelernt habe. Es war eine eigenständige Erfahrung, mich mit diesem „trotzdem“ zu umgeben, denn das Wort beinhaltet den Begriff der Hoffnung. 

Erika Pluhar: Die nächsten Termine

„sie erzählen, was sie erlebten 1945“
Erika Pluhar im Gespräch mit Erwin Pröll. Am 14. Mai im Brandlhof Radlbrunn, 19 Uhr

Alle Termine auf www.erikapluhar.net.

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