
Bühne frei: Irene Girkinger vom Tiroler Landestheater
Wie die Intendantin des Tiroler Landestheaters das Theater als lebendigen Ort der Begegnungen versteht.
© Bernhard Aichner
Wer Irene Girkingers Büro betritt, merkt sofort: Hier trifft Persönlichkeit auf Theatergeschichte. Grün gepolsterte Sessel, gefunden in den Tiefen des Fundus, haben hier eine zweite Heimat gefunden. An den Wänden hängen Plakate vergangener Inszenierungen, ein zerrissenes Poster einer Performance erinnert an einen besonderen Moment aus den ersten Tagen der Intendantin am Tiroler Landestheater. Dazwischen ein Gemälde der Innsbrucker Künstlerin Nora Schöpfer – „Gap Between Spaces“ –, das für Girkinger das Theater perfekt widerspiegelt. Es ist ein Raum, in dem die Bühnenkunst nicht nur geleitet, sondern gelebt wird.
In genau dieser besonderen Atmosphäre haben wir mit Irene Girkinger darüber gesprochen, welche Ideen sie bewegen und wie sie das Tiroler Landestheater zukünftig weiterentwickeln möchte.
Gab es einen Moment, in dem Sie wussten: Theater ist meine Welt?
Irene Girkinger: Der erste prägende Moment war in meiner Jugend in Linz, als ich das Theater Phönix entdeckte – mit seinen unkonventionellen Klassikerinszenierungen und gesellschaftspolitisch relevanten Uraufführungen. Das hat mich fasziniert und gezeigt, wie lebendig und bedeutend Theater sein kann. Der zweite kam während meines Studiums in Salzburg. Ein inspirierender Professor förderte mein Interesse und vermittelte mir ein Praktikum am Schauspielhaus. Dort machte ich meine erste Hospitanz in der Dramaturgie – und wusste: Das ist mein Weg. Von der Regieassistenz bis zu den Salzburger Festspielen lernte ich die Theaterwelt in ihrer ganzen Bandbreite kennen, was mich schließlich zur Intendanz führte.

Sie haben in Ihrer Karriere viele Stationen durchlaufen. Welche Erfahrungen haben Sie besonders geprägt und was haben Sie mit nach Innsbruck gebracht?
Mich hat immer die Verbindung von freien Strukturen und etablierten Häusern geprägt. Bei den Salzburger Festspielen lernte ich große Produktionen kennen, in freien Theatern experimentelle Ansätze. Auch meine Zeit in Wien unter Michael Schottenberg war prägend – dort wurde klassisches Theater mit frischen, manchmal anarchischen Ideen neu gedacht. Besonders wichtig war mir immer, gesellschaftspolitische Themen auf die Bühne zu bringen – sei es durch migrantische Projekte oder feministische Perspektiven. Ich möchte ein Theater, das Bewährtes mit Neuem verbindet, gesellschaftliche Themen aufgreift und jungen Talenten Raum gibt.
Theater ist nicht nur Unterhaltung, sondern auch ein Spiegel der Gesellschaft. Welche Rolle spielt das Tiroler Landestheater für Innsbruck und die Region?
Das Tiroler Landestheater ist mehr als eine Bühne – es ist ein kultureller Leuchtturm für Innsbruck und die Region. Mit über 450 Mitarbeitenden und mehr als 600 Veranstaltungen pro Jahr erreichen wir 160.000 Besucher:innen und tragen dazu bei, Innsbruck als innovativen Theaterstandort zu stärken. Unser Ziel ist es, Tradition und Innovation in Dialog zu bringen und einen Raum für offene, kritische Auseinandersetzungen zu schaffen.
Theater soll Perspektiven öffnen, Bewusstsein schaffen und aktuelle gesellschaftliche Themen reflektieren. Ein Theater für alle zu sein, ist eine Herausforderung, aber genau dieser stellen wir uns. Offenheit, Vielfalt und ein breites Angebot stehen im Mittelpunkt – denn Kultur ist ein Motor für die Gesellschaft, der die Stadt belebt, den Austausch fördert und die Region stärkt.

Wie kann es gelingen, neue Generationen für die Bühne zu begeistern?
Junge Menschen für Theater zu begeistern, ist essenziell – nicht nur für die Bühnenkunst, sondern auch für den gesellschaftlichen Diskurs. Doch das passiert nicht von selbst.
Theater muss aktiv ansprechen, nah an ihrer Lebensrealität sein und zeigen, dass es genauso spannend und aktuell ist wie andere kulturelle Erlebnisse.
Irene Girkinger
Dabei setzen wir auf Kooperationen mit Schulen und Universitäten. Wir wollen vermitteln: Ihr verpasst etwas, wenn ihr nicht ins Theater kommt! Spartenübergreifende Projekte mit Schauspiel, Musik und Tanz sowie die Zusammenarbeit mit Sänger:innen wie NENDA oder Oskar Haag schaffen hier Anknüpfungspunkte.
Mit welchen Projekten oder künstlerischen Schwerpunkten möchten Sie in Zukunft neue Impulse setzen?
Ich möchte die Vielfalt des Theaters sichtbar machen. Zeitgenössische Texte sollen gleichwertig neben Klassikern stehen, neue Erzählformen Raum bekommen. Große Häuser tragen die Verantwortung, Tradition und Innovation in Balance zu halten. Themen wie Klimawandel und soziale Fragen gehören auf die Bühne – ohne belehrend zu sein. Theater kann politisch sein, zum Nachdenken anregen, aber auch mitreißen und unterhalten. In seiner besten Form verbindet es das alles.
Was wünschen Sie sich für das Tiroler Landestheater in den kommenden Jahren?
Ich wünsche mir, dass das Landestheater ein lebendiger, offener Ort bleibt, der inspiriert, herausfordert und Begegnung schafft. Kunst und Kultur müssen als essenziell anerkannt werden, nicht als Luxus. Ich hoffe, dass unser Publikum neugierig bleibt und sich überraschen lässt. Unser Ensemble soll mit Leidenschaft arbeiten können – stabile Strukturen für Künstler:innen sind dafür unerlässlich. Innsbruck bzw. Tirol hat so viel mehr zu bieten als Berge und Tourismus. Durch Vernetzung und Kooperationen wollen wir die Stadt international sichtbarer machen und das Theater als kreativen Impulsgeber für die gesamte Region weiterentwickeln.
Wordrap
Theater bedeutet für mich …
ein Raum für mögliche Entwürfe des Unmöglichen.
Das Schönste an meinem Job ist …
die Vielseitigkeit – jeder Tag ist anders, keine Routine.
Mein Lieblingsplatz in Innsbruck ist …
die Nordkette – mit dem Blick auf die Stadt zur einen und das Karwendel zur anderen Seite. Und wenn der Sparkassenplatz im Sommer zur Piazza wird, verweile ich dort besonders gern.
Ein Stück, das ich immer wieder sehen könnte, ist …
„Viel Lärm um nichts“ von Shakespeare – starke Frauen, tolle Dialoge, Politik und Humor in einem.
Die beste Inspiration finde ich …
in Gesprächen mit Menschen aus den verschiedensten Bereichen, beim Lesen und auf Reisen.
Ein Abend im Theater ist perfekt, wenn …
die künstlerische Vision aufgeht, Publikum und Ensemble berührt sind und sich im Applaus genau diese Energie spiegelt.
Ein unvergessliches Erlebnis im Tiroler Landestheater war …
die Uraufführung der biographischen Erzählung „Café Schindler“ – ein bedeutender Beitrag zur Aufarbeitung jüdischer Geschichte in Tirol.
Drei Worte, die meine Arbeit als Intendantin beschreiben, sind …
ermöglichen, offen sein und vertrauen.
Auf diese Produktionen freue ich mich besonders …
„Codename Brooklyn“, eine Tiroler Widerstandsgeschichte, bei der wir mit vielen Beteiligten aus der Region zusammenarbeiten. Im Musiktheater setzen wir den Fokus auf slawisches Repertoire und arbeiten für „Eugen Onegin“ erneut mit der großartigen Regisseurin Eva-Maria Höckmayr zusammen. Im Tanz erwartet uns der Dreierabend „Rausch“, und mit der Uraufführung von „Gatsch“ präsentieren wir spannendes, junges Theater, das sich mit viel Kreativität und Witz an ein neugieriges Publikum richtet.
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Über die Autorin:

Tjara-Marie Boine ist Redakteurin für die Ressorts Business, Leben und Kultur. Ihr Herz schlägt für Katzen, Kaffee und Kuchen. Sie ist ein echter Bücherwurm und die erste Ansprechpartnerin, wenn es um Themen wie Feminismus und Gleichberechtigung geht.