Liebe, Liebe, Liebelei: Tabuthema Seitensprung
Ein Seitensprung bedeutet meist das Ende einer Beziehung. Warum tun es trotzdem so viele – und wieso sprechen wir so wenig darüber? Über ein Tabu, das längst keines mehr sein sollte.
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Es ist wie eine große, romantische Seifenblase, die mit einem Fingerschnippen platzt. Jahrelang hat man in die Beziehung investiert, Vertrauen aufgebaut, vielleicht sogar geheiratet, ein Haus im Grünen gebaut und Kinder großgezogen. Dann plötzlich der Schock: Der:die Partner:in ist fremdgegangen. Schmerz, Wut und Enttäuschung machen sich breit. Was nun?
Eine Trennung ist meist die logische Konsequenz – doch nicht der einzige Weg. Im Interview erklärt Paartherapeutin Friederike Kleinknecht, warum Fremdgehen durchaus menschlich ist und auch eine Chance für die Beziehung sein kann – und wie es gelingt, als Paar wieder zueinanderzufinden.
Jede:r vierte Österreicher:in war schon einmal untreu, trotzdem ist ein Seitensprung für viele der größte Vertrauensbruch überhaupt. Warum?
Friederike Kleinknecht: Romantische Paarbeziehungen haben in unserer heutigen Zeit eine unheimlich hohe Bedeutung. Früher haben Menschen in Großfamilien oder Stammesgemeinschaften gelebt, heute sind es kleine Kernfamilien aus einem Paar und möglicherweise Kindern. Wir haben die Vorstellung: Wenn wir die eine Person finden, mit der wir unser Leben führen, ist alles gut. Dieses Ideal bekommen wir ja auch in Hollywoodfilmen vorgelebt: zusammenziehen, verloben, heiraten, Kinder kriegen.
Daraus entstehen Ansprüche wie das gemeinsame Haus, gemeinsame Projekte, Werte, Freundschaften, Urlaube, Hobbys. Quasi alle Bedürfnisse, die man im Leben hat, hängen an dieser einen Person. Wenn diese – auch sexuelle – Exklusivität angekratzt wird, wird de facto das ganze Konzept infrage gestellt: War es jetzt doch nicht der oder die eine?
Hinzu kommt der Aspekt der moralischen Bewertung. In unserer Gesellschaft, die immer noch alten patriarchalen Traditionen folgt, wird Fremdgehen stark sanktioniert; früher vor allem bei Frauen, inzwischen genauso bei Männern. Es wird erwartet, dass Fremdgehen auf gar keinen Fall toleriert wird.
Und natürlich spielt auch das Vertrauen eine wichtige Rolle. Wenn eine Affäre aufkommt, sagen die Betrogenen oft: „Damit, dass du fremdgehst, hätte ich ja noch umgehen können. Aber wirklich schlimm ist, dass du mich belogen hast!“ Menschen sind Bindungswesen, die Bindung ist für uns existenziell und im Ursprung überlebensnotwendig. Wenn jemand aus der Gruppe ausgestoßen wurde, war das ein Todesurteil. Und wenn jetzt diese eine Person, die unser sicherer, geborgener Hafen war, einen hintergeht, führt das zu einer tiefen Bindungsverletzung und zu existenziellem Schmerz.
Da drängt sich die Frage auf: Ist der Mensch wirklich für die Monogamie geschaffen?
Allein, dass wir uns diese Frage stellen, deutet ja schon darauf hin, dass der Mensch nicht rein monogam ist. Wenn das unsere Natur wäre, würden wir alle als monogame Paare leben und das Konzept nicht hinterfragen oder durchbrechen. Das Phänomen ist: Menschen binden sich, sie bilden Paare und sind eine Zeit lang auch gerne sexuell exklusiv und monogam. Aber gleichzeitig gehen sie fremd, trennen sich und gehen neue Beziehungen ein – oder verlieben sich in mehrere Menschen gleichzeitig. Das sind durchaus widersprüchliche Grundtendenzen: dass wir einerseits Sicherheit und Altbewährtes suchen, andererseits neugierig sind und uns immer wieder nach Neuem, Abenteuerlichem sehnen.
Mit diesem Dilemma geht jede Kultur anders um. Unsere folgt seit Jahrhunderten dem Grundsatz: Man muss lebenslang monogam sein, alles andere wird abgestraft. In China gibt es beispielsweise das Volk der Mosuo, eine matrilineare Gesellschaft, die in Großfamilien lebt; die Clans werden über die Mutterlinie fortgeführt. Die Frauen führen sogenannte „Besuchs-Ehen“ und empfangen in der Nacht Männer aus dem Dorf, die in der Früh in ihre eigenen Großfamilienhäuser zurückkehren. Manche haben jede Nacht einen anderen Liebhaber, andere bleiben mit dem gleichen über Jahre zusammen. Keine Lebensform wird moralisch bewertet. Es bleibt den Menschen selbst überlassen, wie sie das handhaben wollen.
Es gibt ja den Mythos, dass man nur fremdgeht, wenn die Beziehung von vornherein nicht passt.
Das ist oft der Fall, aber nicht immer. Klar, wenn man sich schon vorher auseinandergelebt hat, viel streitet oder es insgesamt wenig Nähe und Intimität gibt, kann das die Idee auslösen, diese Bedürfnisse außerhalb der Beziehung zu suchen. Manchmal sind es aber auch rein körperliche Gründe. Etwa, wenn die Beziehung zwar wunderbar ist, aber der Sex nur wenig bis gar nicht mehr stattfindet.
Oder wenn jemand konkrete sexuelle Vorlieben hat, bei denen der:die Partner:in nicht mitspielt. Dann steht man vor der Entscheidung: Verzichte ich darauf bis ans Lebensende, trenne ich mich oder versuche ich, die Wünsche irgendwie unter den Hut zu bringen? Manchmal sind Affären auf unbewusster Ebene auch Exit-Strategien. Möchte man die Beziehung nicht mehr, ist es einfacher, wenn man nach der Trennung schon einen Back-up-Plan hat. Man macht es sich quasi leicht, denn man muss sie nicht selber beenden, sondern wartet, dass es der:die Partner:in tut.
Fremdgehen kann auch etwas mit Gelegenheiten zu tun haben; das sind dann meist einmalige Geschichten. Manchmal kommen dabei Bedürfnisse auf, von denen man selbst gar nichts gewusst hat – wenn man zum Beispiel in einer glücklichen Beziehung ist, aber erst im Kontakt mit jemand anderem ein Gefühl von Leichtigkeit oder Abenteuer erfährt und merkt, dass das vorher gefehlt hat.
Wer Ehrlichkeit möchte, darf Ehrlichkeit nicht bestrafen.
Friederike Kleinknecht, Paartherapeutin
Gehen Frauen anders fremd als Männer?
Lange haben in Umfragen Männer deutlich häufiger zugegeben, fremdgegangen zu sein, als Frauen. Aber Fremdgehen war bei Frauen auch deutlich stärker sanktioniert und mit schlimmeren moralischen Urteilen belegt. Außerdem waren Frauen wirtschaftlich abhängig und konnten sich eine Trennung oft nicht leisten. In den letzten Jahrzehnten haben sich die Zahlen angeglichen.
Was sicher damit zu tun hat, dass Frauen finanziell selbstständiger sind, ihnen mehr Selbstbestimmung zugestanden wird und sie sexuell erfahrener sind – sie wissen, was sie wollen, geben sich nicht mehr so leicht mit weniger zufrieden und haben nicht mehr solche Angst vor Stigmatisierung, wenn sie einen Seitensprung zugeben. Außerdem ist mein Eindruck, dass Männer häufiger auf rein sexueller Ebene fremdgehen und Frauen eher auf emotionaler Ebene.
Gibt es auch Geschlechterunterschiede im Verzeihen von Seitensprüngen?
Für Männer ist es meistens schwieriger, sexuelle Untreue zu verzeihen als platonische, aber emotionale Untreue. Das liegt wohl auch an den patriarchalen Strukturen unserer Gesellschaft, denn für viele Männer ist es am schlimmsten, wenn die Frau das Kind eines anderen bekommt. Frauen dagegen können eher über einen sexuellen Seitensprung hinwegsehen als über emotionale Untreue.
Sollte man einen Seitensprung immer beichten?
Ich würde mir zunächst die Frage stellen: Was bringt es, zu beichten? Und was wäre im schlimmsten Fall der Schaden? Oft geht es dabei ja hauptsächlich um die Erleichterung des eigenen Gewissens, aber die Verletzung des Partners oder der Partnerin wird dabei nicht mitgedacht. Wenn die Affäre aufgeflogen ist, sollte man gemäß dem Grundsatz „absolute Ehrlichkeit, aber nicht absolute Transparenz“ vom Geschehenen nur so viel wie nötig preisgeben.
Aber es kommt natürlich auch darauf an, welche Abmachungen das Paar getroffen hat und welche Bedeutung der Seitensprung hatte; ob man jahrelang eine Zweitbeziehung geführt hat oder ob es eine einmalige Sache war. Im Grunde ist sich jede:r Fremdgehende ja im Klaren darüber, dass es moralisch verwerflich und verletzend ist, fremdzugehen. Das ändert aber nichts an den Bedürfnissen, die dazu geführt haben.
Es ist ein Problem, dass wir der moralischen Bewertung und der Vorstellung, dass wir mit dem Kopf sämtliche Handlungen steuern können, so viel größere Bedeutung zuschreiben als unseren Gefühlen und Bedürfnissen. Die spielen sich nämlich vor allem im Unterbewusstsein ab, das können wir aber nur bedingt kontrollieren. Und nur, weil wir diese unbewussten Beweggründe gedanklich in den Keller sperren, sind sie trotzdem da und wirken weiter; oft machen sie sich dann sogar umso stärker bemerkbar. Weil wir nie gelernt haben, sie zu verstehen und einen guten Umgang mit ihnen zu finden.
Ist es demnach auch sinnvoll, sich in einer Beziehung schon früh mit dem Thema auseinanderzusetzen?
Definitiv. In vielen Beziehungen können Paare zwar auf der Sachebene toll miteinander reden und organisieren, aber über tieferliegende Gefühle und Bedürfnisse, wo nicht klar ist, ob der:die Partner:in sie erfüllen kann oder will, wird gar nicht gesprochen. Oft sind in diesem Zusammenhang unheimlich viel Scham und Tabu vorhanden; Gedanken wie „Ich sollte nicht so fühlen“ – und gleichzeitig die Annahme, dass der:die Partner:in sowieso kein Verständnis dafür hätte.
Deshalb sage ich immer: Wer Ehrlichkeit in der Beziehung möchte, darf Ehrlichkeit nicht bestrafen. Wenn man schon von vornherein droht „Wenn du einmal fremdgehst, werde ich dich sofort verlassen“, wird das Gegenüber erst recht nicht mit mir darüber sprechen, sobald sich zum Beispiel Interesse an einer anderen Person regt, aus Angst, die Beziehung aufs Spiel zu setzen.
Aber nicht darüber zu sprechen, ändert ja nichts daran, dass bestimmte Wünsche und Sehnsüchte trotzdem da sind. Wenn man weiß: Sobald man seine Gefühle äußert, wird man dafür kritisiert und das Bedürfnis wird trotzdem nicht erfüllt, dann liegt es nahe, zu sagen: Gut, dann mache ich es heimlich, es wird schon nicht rauskommen. Niemand geht fremd, um den anderen zu verletzen – genau deshalb macht man es ja heimlich.
Niemand geht fremd, um den anderen zu verletzen. Genau deshalb macht man es ja heimlich.
Friederike Kleinknecht, Paartherapeutin
Wie sollte man stattdessen damit umgehen, wenn man merkt, dass man Interesse an einer anderen Person hat?
Wenn man es schafft, sich diesem Thema anzunähern, ohne es komplett abzublocken oder zu moralisieren, ist das eine gute Grundlage. Zum Beispiel, indem man zum anderen sagt „Du, es gibt da jemanden, den finde ich ganz interessant“ oder „Ich sehne mich nach ein bisschen mehr Abenteuer oder Abwechslung“, und diese Aspekte vielleicht ins gemeinsame Liebesspiel einbringt. Das wäre die Königsklasse: sich als Paar offen darüber auszutauschen und gemeinsam zu überlegen, wie eine Erfüllung der Bedürfnisse im Rahmen der Beziehung gelingen kann.
Und es würde einem möglichen Seitensprung auch ein bisschen den Reiz nehmen, oder?
Ja, definitiv. Man sucht ja sowieso schon die Aufregung des Neuen, dann kommt noch die Aufregung des Heimlichen dazu. Diese Faktoren potenzieren sich.
Was halten Sie davon, nach einem Seitensprung zu sagen: „Schwamm drüber, tun wir einfach so, als wäre es nie passiert“?
Der „Nach uns die Sintflut“-Weg kann funktionieren, hat aber tendenziell den Effekt, dass man sich weiter voneinander entfremdet und eher nebeneinander her lebt. Und er setzt eine gewisse Gleichgültigkeit zwischen Paaren voraus – im Sinne von „Mach’, was du willst, mich interessiert es nicht. Hauptsache, unser Alltag funktioniert. Ich fühle mich jedenfalls nicht für dich verantwortlich und jeder ist für seine eigenen Bedürfnisse zuständig.“
Was wäre nötig, um als Paar nach einem Seitensprung wieder zueinanderzufinden?
Zunächst geht es darum, die Verletzung der betrogenen Person anzuerkennen und die bestmöglichen Bedingungen zu schaffen, um sie zu heilen. Damit das gelingen kann, sollte die fremdgegangene Person zu dem stehen, was sie gemacht hat und die Verantwortung dafür übernehmen. Dann ist es sicher hilfreich, sich ein bisschen von der moralischen Perspektive freizumachen und die eigenen Glaubenssätze zu hinterfragen. Dazu gehören etwa die Erwartungen, mit denen man in die Beziehung gegangen ist, oder auch der grundsätzliche Stellenwert von sexuellen Bedürfnissen.
Zu guter Letzt ist es wichtig, herauszufinden, welche Motivation zum Seitensprung geführt hat. Was war es, das man im Außen gesucht hat, was in der Beziehung nicht erfüllt wurde oder keinen Platz hatte? Wenn man es schafft, die Verletzung aufzuarbeiten und gemeinsam zu überwinden, kann das ein Paar letztlich sogar näher zueinander bringen als zuvor.
Wie das?
Weil es ein guter Anlass ist, um ehrlich mit dem:der Partner:in über die eigenen Gefühle zu sprechen – etwas, das gerade in Langzeitbeziehungen leider oft vernachlässigt wird. Darüber zu sprechen, wie man die Beziehung wahrnimmt, was einem vielleicht fehlt, wo Unsicherheiten herrschen oder welche Dinge den anderen verletzen könnten.
Es schafft eine ganz andere Art von Intimität und Beziehungsqualität, wenn man sagen kann: Ich öffne mich dir, ich zeige mich dir so, wie ich wirklich bin; ohne Angst vor einer negativen Wertung. Ich sehe dich, ich verstehe dich – und ich liebe dich trotzdem.
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MEHR ÜBER DIE AUTORIN DIESES BEITRAGS:
Andrea Lichtfuss ist Stv. Chefredakteurin der TIROLERIN und für die Ressorts Beauty, Style und Gesundheit zuständig. Sie mag Parfums, Dackel und Fantasyromane. In ihrer Freizeit findet man sie vor der X-Box, beim Pub-Quiz oder im Drogeriemarkt.